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Edgar Honetschläger, Weg in den Süden , 2002

Gra­fit, Aqua­rell­far­be und Blen­ding Stick auf Papier, 100×70cm

Ein Zug in vol­ler Fahrt. Zu sehen sind die rote Lok und ein Teil des ers­ten Wag­gons. Der Zug nähert sich einem Ober­lei­tungs­mas­ten. Das zwei­te Schie­nen­paar im Bild­vor­der­grund sowie die par­al­lel lau­fen­den Dräh­te der Ober­lei­tung stei­gern die bild­aus­wärts gerich­te­te Dynamik.
Der Bild­auf­bau die­ser hoch­for­ma­ti­gen Arbeit lässt sich in drei hori­zon­ta­le Zonen unter­glie­dern. Die Zeich­nung selbst brei­tet sich ledig­lich in der hori­zon­ta­len Bild­mit­te aus, der obe­re und unte­re Bild­rand ist leer. Schie­nen und Ober­lei­tungs­dräh­te erzeu­gen eine inner­bild­li­che Rah­mung. Lee­re und Fül­le kon­tras­tie­ren sich in rhyth­mi­scher Abfol­ge. Der Ober­lei­tungs­mast stellt sich dem Zug wie ein Takt­strich, wie eine zeit­lich-räum­li­che Zäsur in den Weg.

Die Wahl des Papier­for­mats steht im Wider­spruch zur Dar­stel­lung: In einem Quer­for­mat hät­te der Künst­ler mehr von der Längs­er­stre­ckung des Zuges dar­stel­len kön­nen. Die Zeich­nung nimmt band­för­mig vom Papier Besitz, als wäre sie ein Aus­schnitt eines Film­strei­fens. In ihrer Aus­schnitt­haf­tig­keit gleicht sie einer Momentaufnahme.

Das Gesche­hen brei­tet sich par­al­lel zur Bild­flä­che aus. Alles, was den Bild­raum bean­spru­chen wür­de, wird nach oben geklappt. Honet­schlä­ger ver­zich­tet in sei­nen Arbei­ten, ange­regt von japa­ni­schen Holz­schnit­ten, auf die zen­tral­per­spek­ti­vi­sche Raum­kon­struk­ti­on: Geprägt durch mein Leben in Japan habe ich erfah­ren, wie anders man die Welt den­ken kann. Es gibt kein Abso­lut. Jeder Lebens­ent­wurf ist gleich gül­tig. Die Zen­tral­per­spek­ti­ve ist eine Illu­si­on. So wie die bit­ter­sü­ße west­li­che Erfin­dung der Roman­tik. Wir sind stolz auf die­se Errun­gen­schaf­ten, aber die Welt funk­tio­niert auch in zwei Dimen­sio­nen und ohne Roman­tik aus­ge­zeich­net.“1

Die Reduk­ti­on auf die pla­ne Bild­flä­che wird hier zum poli­ti­schen State­ment. Die Zeich­nung Weg in den Süden erhält dadurch gleich­wohl jene für den Künst­ler spe­zi­fi­sche linea­re Prä­zi­si­on und poe­ti­sche Ausdruckskraft.


Die vor­lie­gen­de Arbeit ent­stand als Pla­kat für den gleich­na­mi­gen Film (2003) von Rein­hard Jud. Pla­ka­te sind meis­tens hoch­for­ma­tig; vor die­sem Hin­ter­grund ver­deut­licht sich Honet­schlä­gers – bezo­gen auf das Sujet – unge­wöhn­li­che Wahl des Papier­for­mats. Der Doku­men­tar­film trägt den Unter­ti­tel Der Son­ne, der Frei­heit ent­ge­gen. Die Urauf­füh­rung fand am 26. März 2003 im Rah­men der Dia­go­na­le in Graz statt.


Der Film Weg in den Süden rückt Men­schen in den Vor­der­grund, die ent­lang der Gast­ar­bei­ter- und Feri­en­rou­te von Wien nach Tri­est leben. Das The­ma wird aus zwei zeit­his­to­ri­schen Blick­win­keln beleuch­tet. Jugend­li­che, die durch den Druck zu mate­ri­el­ler Absi­che­rung bereits sehr früh in den beruf­li­chen Kon­kur­renz­kampf ein­ge­stie­gen sind, ste­hen ihren Groß­el­tern, die sich in den spä­ten 1920er-Jah­ren für den Sozia­lis­mus enga­giert haben, wäh­rend des Krie­ges in den Wider­stand gegan­gen sind und nach dem Krieg am Wie­der­auf­bau betei­ligt waren, gegen­über. Der Zug hält in Wie­ner Neu­stadt, Kap­fen­berg, Bruck an der Mur, Leo­ben, Knit­tel­feld, Fohns­dorf, Juden­burg, Kla­gen­furt, Vil­lach und Arnold­stein. Der Wil­le zur Selbst­be­stim­mung, Selbst­be­haup­tung und Soli­da­ri­tät kris­tal­li­siert sich als gemein­sa­mer Grund­te­nor der unter­schied­li­chen zeit­ge­schicht­li­chen State­ments her­aus. Dem Regis­seur zufol­ge ist die gan­ze Geschich­te der Indus­tria­li­sie­rung, der Arbei­ter­be­we­gung und der Struk­tur­wan­del der letz­ten zwan­zig Jah­re an die­se Stre­cke gekop­pelt“2. Weg in den Süden ist dem Gen­re der sozi­al­do­ku­men­ta­ri­schen Kunst zuzuordnen.


Honet­schlä­ger zeigt in sei­nem Pla­kat den Zug als das Ver­bin­den­de zwi­schen Nord und Süd, als die durch­ge­hen­de Kon­stan­te des Fil­mes. Die Funk­ti­on der Zeich­nung in Honet­schlä­gers Wer­ken ist häu­fig die­je­ni­ge einer entscheidende[n] inhaltliche[n] sowie ästhetische[n] Klam­mer zwi­schen den ein­zel­nen Werk­grup­pen des Künst­lers“3. In die­sem Fall pro­mo­tet Honet­schlä­ger mit­hil­fe des Pla­ka­tes das Werk eines ande­ren. Das gezeich­ne­te Pla­kat fun­giert als unauf­dring­li­ches Begleit­me­di­um zu Rein­hard Juds Film.

Edgar Honet­schlä­ger, der sich als poli­ti­schen Künst­ler ver­steht, ist vor­wie­gend als Fil­me­ma­cher und Zeich­ner tätig. Sei­ne Pro­jek­te befas­sen sich mit Indi­vi­dua­lis­mus, Mul­ti­kul­tu­ra­li­tät und kul­tu­rel­ler Dif­fe­renz. Diver­si­tät sieht er als Not­wen­dig­keit und Berei­che­rung für die Gesell­schaft. Honet­schlä­ger: Film fürs Kino ist ursprüng­lich ein pro­le­ta­ri­sches Medi­um, die Kunst war und ist immer für die gebil­de­te‘ Eli­te. Inter­es­sant sind die Grenz­gän­ger, also die Fil­me- oder Kunst­ma­cher, die an herr­schen­den Para­dig­men krat­zen.“4 Jud ist ein sol­cher Filmemacher.

Bio­gra­fie

1963:

gebo­ren in Linz

1984 – 1989:

Wirt­schafts­stu­di­um und Stu­di­um der Kunst­ge­schich­te an den Uni­ver­si­tä­ten Linz, Graz und Wien sowie am Art Insti­tu­te San Francisco

1989 – 1991:

New York City

1991 – 1997:

Wien – Los Ange­les – Tokio

1997 – 1999:

Wien – Tokio

1999 – 2000:

Wien – Tokio – Los Angeles

2000 – 2001:

Rom – Wien

2002:

Paler­mo – Wien

2003:

Wien – Tokio

2007 – 2008:

Bra­si­lia – São Pau­lo – Tokio

2009 – 2011:

Tokio – Wien

seit 2011:

Wien – Umbrien

Leh­re:

Gei­jutsu-Dai­gaku-Uni­ver­si­tät Tokio, Japan
Nichi­dai-Uni­ver­si­tät Tokio, Japan
Uni­ver­si­tät Yama­gu­chi, Japan
Uni­ver­si­tät Olmütz, Tschechien
Uni­ver­si­tät für ange­wand­ten Kunst, Wien
Aka­de­mie der bil­den­den Küns­te, Wien
Uni­ver­si­tät Yazd, Iran
Kunst­uni­ver­si­tät Linz

Prei­se (Aus­wahl)

1995:

Talent­för­de­rungs­prä­mie der Stadt Linz

1996:

Japan Foun­da­ti­on Tokyo & JEC Fund Osa­ka Grant für den Film MILK

1999:

Japan Foun­da­ti­on für den Film L+R

2009:

Kul­tur­preis des Lan­des OÖ.

Fil­me (Aus­wahl)

2011:

AUN, Fea­ture Film, Japan/​Österreich, 100 Min., 35 mm

2012:

KAZUE, Fic­tion short, Italien/​Österreich, 2 Min. LON­GING, Fic­tion short, Öster­reich, 3 Min.

2013:

OMSCH, Fea­ture-Doku, Österreich

Pro­ve­ni­enz

Die Zeich­nung wur­de 2002 aus dem Besitz des Künst­lers erworben.

Lite­ra­tur­aus­wahl

Die­ter Buch­hart, Ästhe­tik ist ein poli­ti­scher Akt an sich. Ein Gespräch von Die­ter Buch­hart mit Edgar Honet­schlä­ger“, in: Kunst­fo­rum inter­na­tio­nal, Bd. 195, Januar/​Februar 2009, S. 232 – 243.

Die­ter Buch­hart, Enri­co Lunghi (Hg.), Edgar Honet­schlä­ger. Edo­po­lis, Aus­stel­lungs­ka­ta­log, Kunst­hal­le Krems, des Casi­no Luxem­burg, Nürn­berg 2009.

Edgar Honet­schlä­ger. Regie/​Direction, Aus­stel­lungs­ka­ta­log, Lan­des­ga­le­rie am OÖ. Lan­des­mu­se­um, Linz, Kunst­hal­len Brandts Klæ­de­fa­brik, Oden­se, Wei­tra 2001.

  1. Dieter Buchhart, „Ästhetik ist ein politischer Akt an sich. Ein Gespräch von Dieter Buchhart mit Edgar Honetschläger“, in: Kunstforum international, Bd. 195, Januar/Februar 2009, S. 232–243, hier S. 240.
  2. https://www.fischerfilm.com/produktionen/weg-in-den-suden
  3. Ebd., S. 233.
  4. Ebd., S. 234.

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