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Honetschlaeger

Honetschläger

WEG IN DEN SÜDEN,2002
Grafit, Aquarellfarbe und Blending Stick auf Papier,
100 x 70 cm

Ein Zug in voller Fahrt. Zu sehen sind die rote Lok und ein Teil des ersten Waggons. Der Zug nähert sich einem Oberleitungsmasten. Das zweite Schienenpaar im Bildvordergrund sowie die parallel laufenden Drähte der Oberleitung steigern die bildauswärts gerichtete Dynamik.
Der Bildaufbau dieser hochformatigen Arbeit lässt sich in drei horizontale Zonen untergliedern. Die Zeichnung selbst breitet sich lediglich in der horizontalen Bildmitte aus, der obere und untere Bildrand ist leer. Schienen und Oberleitungsdrähte erzeugen eine innerbildliche Rahmung. Leere und Fülle kontrastieren sich in rhythmischer Abfolge. Der Oberleitungsmast stellt sich dem Zug wie ein Taktstrich, wie eine zeitlich-räumliche Zäsur in den Weg.
Die Wahl des Papierformats steht im Widerspruch zur Darstellung: In einem Querformat hätte der Künstler mehr von der Längserstreckung des Zuges darstellen können. Die Zeichnung nimmt bandförmig vom Papier Besitz, als wäre sie ein Ausschnitt eines Filmstreifens. In ihrer Ausschnitthaftigkeit gleicht sie einer Momentaufnahme.
Das Geschehen breitet sich parallel zur Bildfläche aus. Alles, was den Bildraum beanspruchen würde, wird nach oben geklappt. Honetschläger verzichtet in seinen Arbeiten, angeregt von japanischen Holzschnitten, auf die zentralperspektivische Raumkonstruktion: Geprägt durch mein Leben in Japan habe ich erfahren, wie anders man die Welt denken kann. Es gibt kein Absolut. Jeder Lebensentwurf ist gleich gültig. Die Zentralperspektive ist eine Illusion. So wie die bittersüße westliche Erfindung der Romantik. Wir sind stolz auf diese Errungenschaften, aber die Welt funktioniert auch in zwei Dimensionen und ohne Romantik ausgezeichnet.“[1]
Die Reduktion auf die plane Bildfläche wird hier zum politischen Statement. Die Zeichnung Weg in den Süden erhält dadurch gleichwohl jene für den Künstler spezifische lineare Präzision und poetische Ausdruckskraft.

Die vorliegende Arbeit entstand als Plakat für den gleichnamigen Film (2003) von Reinhard Jud. Plakate sind meistens hochformatig; vor diesem Hintergrund verdeutlicht sich Honetschlägers – bezogen auf das Sujet – ungewöhnliche Wahl des Papierformats. Der Dokumentarfilm trägt den Untertitel Der Sonne, der Freiheit entgegen. Die Uraufführung fand am 26. März 2003 im Rahmen der Diagonale in Graz statt.

Der Film Weg in den Süden rückt Menschen in den Vordergrund, die entlang der Gastarbeiter- und Ferienroute von Wien nach Triest leben. Das Thema wird aus zwei zeithistorischen Blickwinkeln beleuchtet. Jugendliche, die durch den Druck zu materieller Absicherung bereits sehr früh in den beruflichen Konkurrenzkampf eingestiegen sind, stehen ihren Großeltern, die sich in den späten 1920er-Jahren für den Sozialismus engagiert haben, während des Krieges in den Widerstand gegangen sind und nach dem Krieg am Wiederaufbau beteiligt waren, gegenüber. Der Zug hält in Wiener Neustadt, Kapfenberg, Bruck an der Mur, Leoben, Knittelfeld, Fohnsdorf, Judenburg, Klagenfurt, Villach und Arnoldstein. Der Wille zur Selbstbestimmung, Selbstbehauptung und Solidarität kristallisiert sich als gemeinsamer Grundtenor der unterschiedlichen zeitgeschichtlichen Statements heraus. Dem Regisseur zufolge ist die ganze Geschichte der Industrialisierung, der Arbeiterbewegung und der Strukturwandel der letzten zwanzig Jahre an diese Strecke gekoppelt“[2]. Weg in den Süden ist dem Genre der sozialdokumentarischen Kunst zuzuordnen.

Honetschläger zeigt in seinem Plakat den Zug als das Verbindende zwischen Nord und Süd, als die durchgehende Konstante des Filmes. Die Funktion der Zeichnung in Honetschlägers Werken ist häufig diejenige einer entscheidende[n] inhaltliche[n] sowie ästhetische[n] Klammer zwischen den einzelnen Werkgruppen des Künstlers“[3]. In diesem Fall promotet Honetschläger mithilfe des Plakates das Werk eines anderen. Das gezeichnete Plakat fungiert als unaufdringliches Begleitmedium zu Reinhard Juds Film.
Edgar Honetschläger, der sich als politischen Künstler versteht, ist vorwiegend als Filmemacher und Zeichner tätig. Seine Projekte befassen sich mit Individualismus, Multikulturalität und kultureller Differenz. Diversität sieht er als Notwendigkeit und Bereicherung für die Gesellschaft. Honetschläger: Film fürs Kino ist ursprünglich ein proletarisches Medium, die Kunst war und ist immer für die gebildete‘ Elite. Interessant sind die Grenzgänger, also die Filme- oder Kunstmacher, die an herrschenden Paradigmen kratzen.“[4] Jud ist ein solcher Filmemacher.

Biografie
1963: geboren in Linz
1984 – 1989: Wirtschaftsstudium und Studium der Kunstgeschichte an den Universitäten Linz, Graz und Wien sowie am Art Institute San Francisco
1989 – 1991: New York City
1991 – 1997: Wien – Los Angeles – Tokio
1997 – 1999: Wien – Tokio
1999 – 2000: Wien – Tokio – Los Angeles
2000 – 2001: Rom – Wien
2002: Palermo – Wien
2003: Wien – Tokio
2007 – 2008: Brasilia – São Paulo – Tokio
2009 – 2011: Tokio – Wien
Seit 2011: Wien – Umbrien

Lehre:
Geijutsu-Daigaku-Universität Tokio, Japan
Nichidai-Universität Tokio, Japan
Universität Yamaguchi, Japan
Universität Olmütz, Tschechien
Universität für angewandten Kunst, Wien
Akademie der bildenden Künste, Wien
Universität Yazd, Iran
Kunstuniversität Linz

Preise (Auswahl):
1995: Talentförderungsprämie der Stadt Linz
1996: Japan Foundation Tokyo & JEC Fund Osaka Grant für den Film MILK
1999: Japan Foundation für den Film L+R
2009: Kulturpreis des Landes OÖ.

Filme (Auswahl):
2011: AUN, Feature Film, Japan/​Österreich, 100 Min., 35 mm
2012: KAZUE, Fiction short, Italien/​Österreich, 2 Min. LONGING, Fiction short, Österreich, 3 Min.
2013: OMSCH, Feature-Doku, Österreich

Provenienz
Die Zeichnung wurde 2002 aus dem Besitz des Künstlers erworben.

Literaturauswahl
Dieter Buchhart, Ästhetik ist ein politischer Akt an sich. Ein Gespräch von Dieter Buchhart mit Edgar Honetschläger“, in: Kunstforum international, Bd. 195, Januar/​Februar 2009, S. 232 – 243.

Dieter Buchhart, Enrico Lunghi (Hg.), Edgar Honetschläger. Edopolis, Ausstellungskatalog, Kunsthalle Krems, des Casino Luxemburg, Nürnberg 2009.

Edgar Honetschläger. Regie/​Direction, Ausstellungskatalog, Landesgalerie am OÖ. Landesmuseum, Linz, Kunsthallen Brandts Klædefabrik, Odense, Weitra 2001. 



[1] Dieter Buchhart, Ästhetik ist ein politischer Akt an sich. Ein Gespräch von Dieter Buchhart mit Edgar Honetschläger“, in: Kunstforum international, Bd. 195, Januar/​Februar 2009, S. 232 – 243, hier S. 240.
[2] www​.fischerfilm​.com/​p​r​o​d​u​k​t​i​o​n​e​n​/​w​e​g​-​i​n​-​d​e​n​-​s​uden/
[3] Ebd., S. 233.
[4] Ebd., S. 234.

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