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G 1772

Die Zeichnung zeigt eine bipolare Komposition in einer Landschaft; zu sehen sind die Frontalansicht einer männlichen Figur im Bildvordergrund und ein kugelförmiges Gebilde im Bildhintergrund. Der Mann – eine Brille und einen Hut tragend – blickt mit ernstem Gesichtsausdruck in die Ferne. In seiner rechten Hand hält er eine Schnur, die ihn mit dem roten, wuchernden Widerpart verbindet, der sich hinter seinem Rücken emporschraubt. Dass dieser kein harmloser Luftballon ist, erschließt sich sofort.


Wie ein gedrehter Stab wächst der rot leuchtende Organismus in luftige Höhen, wo er sich zu einer Kugel ausdehnt. An seiner Oberfläche blubbert es gefährlich, was auf große innere Kraft schließen lässt. Blasen werfen sich eruptiv auf und aus vulkanähnlichen Schloten entsprießen in alle Richtungen weit ausgreifende Tentakel. Manche von ihnen münden in knospenähnlichen Fortsätzen, die ihrerseits kleine Triebe ausbilden. Der Organismus breitet sich rasend schnell aus und erobert invasiv die Landschaft, die wie von einem gelben Staubfilm überzogen scheint.


Führt uns der Titel Ölsucher auf die richtige Spur? Er ist vieldeutig und surreal wie die gesamte Bildkomposition, die wirkt, als würde sie eine Traumsequenz repräsentieren. Der kugelförmige Moloch zieht den Blick der Betrachtenden beinahe magnetisch sofort auf sich. Die Strukturen der gelb-braunen Ackerschollen und des hochgewachsenen Kugelpilzes“ erwecken unterschiedliche Assoziationen. Was sucht der Mann wirklich bzw. was wächst ihm da über den Kopf?


Statt einer Erdölfontäne, wie es der Titel nahelegen würde, schießt ein schwammartiges Gebilde empor, das sich in der Höhe dem menschlichen Einfluss bereits entzieht. Während wir die gesamte Komposition überblicken, hat der Mann im Bild das rote Riesending – und damit die Gefahr – in seiner Positionierung keinesfalls im Blick. Die gefährliche Saat“ des Ölsuchers wirkt durch ihre bereits erreichte gewaltige Größe und durch die Veranlagung, sich unendlich oft spalten und reproduzieren zu können, überaus bedrohlich. Arik Brauers Bild erinnert an Goethes Gedicht vom Zauberlehrling: Die ich rief, die Geister, werd ich nun nicht los.“ Der rote Ball erweckt durchaus die Assoziation einer Atombombe und – noch aktueller – erinnert in seiner Form an das Virus, das unsere globale Gesellschaft bereits seit einem Jahr geißelt.


Die Lithografie entstand Mitte der 1960er-Jahre in der Zeit des Kalten Krieges. Damals lag der Fokus der Großmächte auf dem Wettrüsten. Das Archivfoto eines Wasserstoffbombentests weist eine frappante Ähnlichkeit mit Brauers Ölsucher auf. 


Der große österreichische Philanthrop Arik Brauer war mit seinem Künstlerkollegen Friedensreich Hundertwasser eng befreundet. Mit ihm verband ihn die Liebe zur Natur und sein Einsatz für den Schutz ursprünglich erhaltener Naturreservate. 

Zwanzig Jahre nach der Entstehung dieser Zeichnung erhielt Arik Brauer den Konrad-Lorenz-Staatspreis in Wien für sein Engagement rund um die Besetzung der Hainburger Au. 


In seiner Autobiografie widmet Brauer dem Eintreten für die Erhaltung der Stopfenreuther Au ein ganzes Kapitel. Darin beteuert er: Der einzelne Mensch kann ohne intakte Naturoasen leben, vielen Menschen würden sie gar nicht abgehen. Die Menschheit als Ganzes kann jedoch nicht existieren, wenn es keine Beispiele der wirklichen Welt‘ mehr gibt und der dünne Faden, der uns noch mit der Natur verbindet, endgültig abgerissen ist. Mit der Kunst verhält es sich ähnlich. Es muss sie geben, auch wenn die meisten Menschen sie kaum wahrnehmen. Natur und Kunst sind Quellen, aus denen wir ununterbrochen trinken, meist ohne es zu wissen. Aber ohne sie würden wir verdursten.“[1]


Der vielseitige Künstler, der im Jänner 2021 hochbetagt verstorben ist, sah die existenzbedrohenden Gefahren der radikalen Technologisierung. Über die Energiegewinnung aus Atomkraftwerken bemerkte er: Als bloße Übergangslösung bedeuten sie [die Atomkraftwerke] eine vielfach lebensgefährliche Belastung der gesamten Erde so gut wie ewig. Als bleibende Einrichtung müssen sie unser baldiges Ende verursachen. Wieso können wir uns damit abfinden? Sind wir so blöd? Sind wir so kriminell unseren Nachkommen gegenüber? Fassungslos beobachten wir unser eigenes Handeln.“[2]


Provenienz

Die Grafik wurde im November 1965 in Wien erworben.


Biographie

1929:

geb. am 4. Jänner in Wien als Erich Brauer als Sohn eines aus Litauen stammenden jüdischen Schuhmachers


1938 – 1945: 

Die Familie Brauer wird durch das NS-Regime verfolgt. Arik arbeitet zunächst in der technischen Abteilung des Ältestenrates der Juden in Wien 


1944/45:

Zwangsarbeit als Tischlergeselle. Besuch eines Zeichenkurses im Volksheim Ottakring, wo er Alfred Hrdlicka kennenlernt


1945:

Brauer überlebt die Verfolgung in einem Versteck in Wien. Schließt sich nach dem Krieg zunächst der kommunistischen Bewegung an


1947:

Gesangsstudium an der Musikschule der Stadt Wien. Erste Gruppenausstellung im Foyer des Wiener Konzerthauses 


1949:

Teilnahme an der Ausstellung des Art-Clubs in der Neuen Galerie der Stadt Linz. Fahrradreise nach Paris


1950:

Gründung der Vereinigung Die Hundsgruppe gemeinsam mit Ernst Fuchs, Arnulf Rainer, Maria Lassnig u. a.


1951:

Abschluss an der Akademie der bildenden Künste bei Robin Christian Andersen und Albert Paris Gütersloh. Gründung der Wiener Schule des Phantastischen Realismus“ zusammen mit Ernst Fuchs, Rudolf Hausner, Wolfgang Hutter, Anton Lehmden und Helmut Leherb 


1951 – 1954: 

Fahrradreise durch Europa und Afrika


1954/55:

lebt als Sänger und Tänzer in Israel


1956:

Auftritte als Tänzer im Raimundtheater in Wien. Erste Einzelausstellung in der Neuen Galerie Wien


1957:

Heirat mit Naomi Dahabani, einer Israelin jemenitischer Abstammung in Tel Aviv 


1957:

Übersiedlung nach Paris, Auftritte mit seiner Frau als Gesangsduo Neomi et Arik Bar-Or


1959:

Erste Einzelausstellung in Paris in der Galerie Raymond Cordier


1961:

Ausstellungen im Musée d’Art Moderne de la Ville de Paris und im Stedelijk Museum in Amsterdam 


1964:

Rückkehr nach Wien


1967:

Die Galerie Sydow in Frankfurt am Main gibt Brauers erste Langspielplatte mit dem Titel Brauers Liedermappe heraus


1953 – 1965: 

Weltwanderausstellung gemeinsam mit den Künstlern der Wiener Schule des Phantastischen Realismus


1970:

Bühnenbild- und Kostümgestaltung für die Oper Bomarzo von Alberto Ginastera am Zürcher Opernhaus


1974:

Besteigung des Kilimandscharo


1977:

Ausstattung für Die Zauberflöte am Théâtre National de l’Opéra de Paris


1982/83:

Gastprofessur an der Internationalen Sommerakademie in Salzburg


1985:

Verleihung des Konrad-Lorenz-Staatspreises in Wien für sein Engagement rund um die Besetzung der Hainburger Au


1986 – 1997: 

ordentliche Professur an der Akademie der bildenden Künste in Wien. Bis 1987 Leitung der Meisterschule für Malerei ebendort


1989:

Gestaltung eines Wandbildes aus bemalten Fliesen für die Universität Tel Aviv 


1991 – 1994: 

künstlerische Gestaltung des Arik-Brauer-Hauses in Wien-Mariahilf


1994 – 2000: 

Gestaltung der Autobahnraststätte Lindach in Oberösterreich


1996:

Gestaltung der Fassade der Pfarrkirche Am Tabor in 2. Wiener Gemeindebezirk 


Ab 2000:

Auftritte mit seinen Töchtern und dem Pianisten Elias Meiri als Die Brauers“ 


2002:

Gestaltung der Fassade des Rathauses in Voitsberg, Steiermark


2003:

Ausstellung Schieß nicht auf die Blaue Blume …! (Kunst Haus Wien). Bau des Brauer-Privat-Museums im Garten der Brauer-Villa in Wien


2009:

Ausstellung Arik Brauer und die Bibel – Zum 80. Geburtstag (Dom Museum Wien)


2011:

Goldenes Ehrenzeichen für Verdienste um das Land Wien


2014:

Gestaltung eines Mahnmals für das ehemalige KZ-Nebenlager von Mauthausen in Wiener Neudorf


2015:

Amadeus Austrian Music Award für sein Lebenswerk


2018:

Großes Goldenes Ehrenzeichen für Verdienste um die Republik Österreich


2019:

Ausstellung Arik Brauer. Alle meine Künste (Jüdisches Museum Wien)


2021:

verstorben am 24. Jänner 2021 in Wien

Verwendete Literatur

Franz Smola, Alexandra Matzner (Hg.), Arik Brauer. Gesamt.Kunst.Werk, Ausst.-Kat., Leopold Museum, Wien, Wien 2014

Arik Brauer, Die Farben meines Lebens. Erinnerungen, Wien 2006


[1] Arik Brauer, Die Farben meines Lebens. Erinnerungen, Wien 2006, S. 261 – 262.

[2] Ebd.

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