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Arik Brauer, Ölsucher , 1965

Litho­gra­fie auf Papier, 76 × 53,5 cm

Die Zeich­nung zeigt eine bipo­la­re Kom­po­si­ti­on in einer Land­schaft; zu sehen sind die Fron­tal­an­sicht einer männ­li­chen Figur im Bild­vor­der­grund und ein kugel­för­mi­ges Gebil­de im Bild­hin­ter­grund. Der Mann – eine Bril­le und einen Hut tra­gend – blickt mit erns­tem Gesichts­aus­druck in die Fer­ne. In sei­ner rech­ten Hand hält er eine Schnur, die ihn mit dem roten, wuchern­den Wider­part ver­bin­det, der sich hin­ter sei­nem Rücken empor­schraubt. Dass die­ser kein harm­lo­ser Luft­bal­lon ist, erschließt sich sofort.


Wie ein gedreh­ter Stab wächst der rot leuch­ten­de Orga­nis­mus in luf­ti­ge Höhen, wo er sich zu einer Kugel aus­dehnt. An sei­ner Ober­flä­che blub­bert es gefähr­lich, was auf gro­ße inne­re Kraft schlie­ßen lässt. Bla­sen wer­fen sich erup­tiv auf und aus vul­kan­ähn­li­chen Schlo­ten ent­sprie­ßen in alle Rich­tun­gen weit aus­grei­fen­de Ten­ta­kel. Man­che von ihnen mün­den in knos­pen­ähn­li­chen Fort­sät­zen, die ihrer­seits klei­ne Trie­be aus­bil­den. Der Orga­nis­mus brei­tet sich rasend schnell aus und erobert inva­siv die Land­schaft, die wie von einem gel­ben Staub­film über­zo­gen scheint.


Führt uns der Titel Ölsu­cher auf die rich­ti­ge Spur? Er ist viel­deu­tig und sur­re­al wie die gesam­te Bild­kom­po­si­ti­on, die wirkt, als wür­de sie eine Traum­se­quenz reprä­sen­tie­ren. Der kugel­för­mi­ge Moloch zieht den Blick der Betrach­ten­den bei­na­he magne­tisch sofort auf sich. Die Struk­tu­ren der gelb-brau­nen Acker­schol­len und des hoch­ge­wach­se­nen Kugel­pil­zes“ erwe­cken unter­schied­li­che Asso­zia­tio­nen. Was sucht der Mann wirk­lich bzw. was wächst ihm da über den Kopf?


Statt einer Erd­öl­fon­tä­ne, wie es der Titel nahe­le­gen wür­de, schießt ein schwamm­ar­ti­ges Gebil­de empor, das sich in der Höhe dem mensch­li­chen Ein­fluss bereits ent­zieht. Wäh­rend wir die gesam­te Kom­po­si­ti­on über­bli­cken, hat der Mann im Bild das rote Rie­sen­ding – und damit die Gefahr – in sei­ner Posi­tio­nie­rung kei­nes­falls im Blick. Die gefähr­li­che Saat“ des Ölsu­chers wirkt durch ihre bereits erreich­te gewal­ti­ge Grö­ße und durch die Ver­an­la­gung, sich unend­lich oft spal­ten und repro­du­zie­ren zu kön­nen, über­aus bedroh­lich. Arik Brau­ers Bild erin­nert an Goe­thes Gedicht vom Zau­ber­lehr­ling: Die ich rief, die Geis­ter, werd ich nun nicht los.“ Der rote Ball erweckt durch­aus die Asso­zia­ti­on einer Atom­bom­be und – noch aktu­el­ler – erin­nert in sei­ner Form an das Virus, das unse­re glo­ba­le Gesell­schaft bereits seit einem Jahr geißelt.


Die Litho­gra­fie ent­stand Mit­te der 1960er-Jah­re in der Zeit des Kal­ten Krie­ges. Damals lag der Fokus der Groß­mäch­te auf dem Wett­rüs­ten. Das Archiv­fo­to eines Was­ser­stoff­bom­ben­tests weist eine frap­pan­te Ähn­lich­keit mit Brau­ers Ölsu­cher auf. 


Der gro­ße öster­rei­chi­sche Phil­an­throp Arik Brau­er war mit sei­nem Künst­ler­kol­le­gen Frie­dens­reich Hun­dert­was­ser eng befreun­det. Mit ihm ver­band ihn die Lie­be zur Natur und sein Ein­satz für den Schutz ursprüng­lich erhal­te­ner Naturreservate. 

Zwan­zig Jah­re nach der Ent­ste­hung die­ser Zeich­nung erhielt Arik Brau­er den Kon­rad-Lorenz-Staats­preis in Wien für sein Enga­ge­ment rund um die Beset­zung der Hain­bur­ger Au. 


In sei­ner Auto­bio­gra­fie wid­met Brau­er dem Ein­tre­ten für die Erhal­tung der Stop­fen­reu­ther Au ein gan­zes Kapi­tel. Dar­in beteu­ert er: Der ein­zel­ne Mensch kann ohne intak­te Natur­oa­sen leben, vie­len Men­schen wür­den sie gar nicht abge­hen. Die Mensch­heit als Gan­zes kann jedoch nicht exis­tie­ren, wenn es kei­ne Bei­spie­le der wirk­li­chen Welt‘ mehr gibt und der dün­ne Faden, der uns noch mit der Natur ver­bin­det, end­gül­tig abge­ris­sen ist. Mit der Kunst ver­hält es sich ähn­lich. Es muss sie geben, auch wenn die meis­ten Men­schen sie kaum wahr­neh­men. Natur und Kunst sind Quel­len, aus denen wir unun­ter­bro­chen trin­ken, meist ohne es zu wis­sen. Aber ohne sie wür­den wir ver­durs­ten.“[1]


Der viel­sei­ti­ge Künst­ler, der im Jän­ner 2021 hoch­be­tagt ver­stor­ben ist, sah die exis­tenz­be­dro­hen­den Gefah­ren der radi­ka­len Tech­no­lo­gi­sie­rung. Über die Ener­gie­ge­win­nung aus Atom­kraft­wer­ken bemerk­te er: Als blo­ße Über­gangs­lö­sung bedeu­ten sie [die Atom­kraft­wer­ke] eine viel­fach lebens­ge­fähr­li­che Belas­tung der gesam­ten Erde so gut wie ewig. Als blei­ben­de Ein­rich­tung müs­sen sie unser bal­di­ges Ende ver­ur­sa­chen. Wie­so kön­nen wir uns damit abfin­den? Sind wir so blöd? Sind wir so kri­mi­nell unse­ren Nach­kom­men gegen­über? Fas­sungs­los beob­ach­ten wir unser eige­nes Han­deln.“[2]


Pro­ve­ni­enz

Die Gra­fik wur­de im Novem­ber 1965 in Wien erworben.


Bio­gra­phie

1929:

geb. am 4. Jän­ner in Wien als Erich Brau­er als Sohn eines aus Litau­en stam­men­den jüdi­schen Schuhmachers


1938 – 1945: 

Die Fami­lie Brau­er wird durch das NS-Regime ver­folgt. Arik arbei­tet zunächst in der tech­ni­schen Abtei­lung des Ältes­ten­ra­tes der Juden in Wien 


1944/45:

Zwangs­ar­beit als Tisch­ler­ge­sel­le. Besuch eines Zei­chen­kur­ses im Volks­heim Otta­kring, wo er Alfred Hrdlicka kennenlernt


1945:

Brau­er über­lebt die Ver­fol­gung in einem Ver­steck in Wien. Schließt sich nach dem Krieg zunächst der kom­mu­nis­ti­schen Bewe­gung an


1947:

Gesangs­stu­di­um an der Musik­schu­le der Stadt Wien. Ers­te Grup­pen­aus­stel­lung im Foy­er des Wie­ner Konzerthauses 


1949:

Teil­nah­me an der Aus­stel­lung des Art-Clubs in der Neu­en Gale­rie der Stadt Linz. Fahr­rad­rei­se nach Paris


1950:

Grün­dung der Ver­ei­ni­gung Die Hunds­grup­pe gemein­sam mit Ernst Fuchs, Arnulf Rai­ner, Maria Lass­nig u. a.


1951:

Abschluss an der Aka­de­mie der bil­den­den Küns­te bei Robin Chris­ti­an Ander­sen und Albert Paris Güters­loh. Grün­dung der Wie­ner Schu­le des Phan­tas­ti­schen Rea­lis­mus“ zusam­men mit Ernst Fuchs, Rudolf Haus­ner, Wolf­gang Hut­ter, Anton Lehm­den und Hel­mut Leherb 


1951 – 1954: 

Fahr­rad­rei­se durch Euro­pa und Afrika


1954/55:

lebt als Sän­ger und Tän­zer in Israel


1956:

Auf­trit­te als Tän­zer im Rai­mund­thea­ter in Wien. Ers­te Ein­zel­aus­stel­lung in der Neu­en Gale­rie Wien


1957:

Hei­rat mit Nao­mi Daha­ba­ni, einer Israe­lin jeme­ni­ti­scher Abstam­mung in Tel Aviv 


1957:

Über­sied­lung nach Paris, Auf­trit­te mit sei­ner Frau als Gesangs­duo Neo­mi et Arik Bar-Or


1959:

Ers­te Ein­zel­aus­stel­lung in Paris in der Gale­rie Ray­mond Cordier


1961:

Aus­stel­lun­gen im Musée d’Art Moder­ne de la Vil­le de Paris und im Stede­li­jk Muse­um in Amsterdam 


1964:

Rück­kehr nach Wien


1967:

Die Gale­rie Sydow in Frank­furt am Main gibt Brau­ers ers­te Lang­spiel­plat­te mit dem Titel Brau­ers Lie­der­map­pe heraus


1953 – 1965: 

Welt­wan­der­aus­stel­lung gemein­sam mit den Künst­lern der Wie­ner Schu­le des Phan­tas­ti­schen Realismus


1970:

Büh­nen­bild- und Kos­tüm­ge­stal­tung für die Oper Bom­ar­zo von Alber­to Ginaste­ra am Zür­cher Opernhaus


1974:

Bestei­gung des Kilimandscharo


1977:

Aus­stat­tung für Die Zau­ber­flö­te am Thé­ât­re Natio­nal de l’Opéra de Paris


1982/83:

Gast­pro­fes­sur an der Inter­na­tio­na­len Som­mer­aka­de­mie in Salzburg


1985:

Ver­lei­hung des Kon­rad-Lorenz-Staats­prei­ses in Wien für sein Enga­ge­ment rund um die Beset­zung der Hain­bur­ger Au


1986 – 1997: 

ordent­li­che Pro­fes­sur an der Aka­de­mie der bil­den­den Küns­te in Wien. Bis 1987 Lei­tung der Meis­ter­schu­le für Male­rei ebendort


1989:

Gestal­tung eines Wand­bil­des aus bemal­ten Flie­sen für die Uni­ver­si­tät Tel Aviv 


1991 – 1994: 

künst­le­ri­sche Gestal­tung des Arik-Brau­er-Hau­ses in Wien-Mariahilf


1994 – 2000: 

Gestal­tung der Auto­bahn­rast­stät­te Lin­dach in Oberösterreich


1996:

Gestal­tung der Fas­sa­de der Pfarr­kir­che Am Tabor in 2. Wie­ner Gemeindebezirk 


Ab 2000:

Auf­trit­te mit sei­nen Töch­tern und dem Pia­nis­ten Eli­as Mei­ri als Die Brauers“ 


2002:

Gestal­tung der Fas­sa­de des Rat­hau­ses in Voits­berg, Steiermark


2003:

Aus­stel­lung Schieß nicht auf die Blaue Blu­me …! (Kunst Haus Wien). Bau des Brau­er-Pri­vat-Muse­ums im Gar­ten der Brau­er-Vil­la in Wien


2009:

Aus­stel­lung Arik Brau­er und die Bibel – Zum 80. Geburts­tag (Dom Muse­um Wien)


2011:

Gol­de­nes Ehren­zei­chen für Ver­diens­te um das Land Wien


2014:

Gestal­tung eines Mahn­mals für das ehe­ma­li­ge KZ-Neben­la­ger von Maut­hau­sen in Wie­ner Neudorf


2015:

Ama­de­us Aus­tri­an Music Award für sein Lebenswerk


2018:

Gro­ßes Gol­de­nes Ehren­zei­chen für Ver­diens­te um die Repu­blik Österreich


2019:

Aus­stel­lung Arik Brau­er. Alle mei­ne Küns­te (Jüdi­sches Muse­um Wien)


2021:

ver­stor­ben am 24. Jän­ner 2021 in Wien

Ver­wen­de­te Literatur

Franz Smo­la, Alex­an­dra Matz­ner (Hg.), Arik Brau­er. Gesamt.Kunst.Werk, Ausst.-Kat., Leo­pold Muse­um, Wien, Wien 2014

Arik Brau­er, Die Far­ben mei­nes Lebens. Erin­ne­run­gen, Wien 2006


[1] Arik Brau­er, Die Far­ben mei­nes Lebens. Erin­ne­run­gen, Wien 2006, S. 261 – 262.

[2] Ebd.

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