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G 3314

Die Zeichnung entstand als Vorstudie zu einem Gemälde, das sich ebenfalls im Besitz des LENTOS befindet. Weder Gemälde noch Zeichnung wurden signiert, was darauf hinweist, dass die Künstlerin sie als nicht fertig ansah.
Vergleicht man Zeichnung und Gemälde, so wird ein markanter Unterschied in der Gestaltung des Hintergrundes deutlich. Während in der Vorzeichnung im rechten oberen Eck ein helles Rechteck sichtbar ist, befindet sich im Gemälde exakt hinter dem Haupt der Dargestellten eine gelbe rechteckige Fläche, die einem Fenster ähnelt. Diese Fläche rahmt den Kopf der Frau und bildet einen starken Kontrast zu ihren dunklen Haaren. Auch ihr Mantel und die Halskette sind gelb durchwirkt. Die Komposition schafft im Zusammenspiel der gelben Akzente lebhafte Verbindungen von Vorder- und Hintergrund.
Im Vergleich zur Grafik wurde die Frauenfigur im Gemälde symmetrischer angeordnet. Die leichte Seitwärtsneigung des Kopfes, die der Person in der Zeichnung Spontaneität verleiht, wurde im Gemälde nivelliert. Ernst und beinahe traurig blickt uns die Frau aus dem Bild entgegen.
Die Dargestellte heißt Therese (nach anderen Quellen Theresia) Coudenhove, geb. Blumencron. Sie stammt aus einem alten Adelsgeschlecht, das im Banat (heute Rumänien) und in Böhmen beheimatet war. Baronin Coudenhove scheint in den allgemein zugänglichen Adelsgenealogien nicht auf. Es gibt jedoch drei Namenserwähnungen ihrer Person in Zeitungen des späten 19. Jahrhunderts und aus dem Jahr 1920.
Demnach wurde sie am 11. September 1843 im böhmischen Murány als Tochter von Robert Freiherr von Blumencron, Herr auf Hareth, Stranitz, Grünthal und Deutsch-Zlatnik, und der Freifrau Maria von Blumencron, geb. Radvány de Alsó-Nemes-Lak, geboren. Ihr Vater war K.u.k.-Generalmajor. Im Jahr 1872 heiratete sie Karl Freiherr von Coudenhove, der den Beruf eines Kommandanten und Hauptmanns ausübte. Karl von Coudenhove starb am 18. Oktober 1890.[1]
Die Witwe soll – dem Wiener Amtsblatt zufolge – im Mai 1896 einen Schuldschein über 27 Aktien der Böhmischen Westbahn à 200 fl., also über einen Wert von insgesamt 5.400 Gulden, verloren haben.[2] Dies wären nach heutiger Umrechnung etwa 55.000 Euro. Zwei Jahre ist sie offensichtlich, wohnhaft in der Elisabethstr. 20 im 1. Wiener Gemeindebezirk, unter Kuratel gestellt worden. Als Begründung dafür wird in der Reichspost vom 14. Juli 1898 Geistesgestörtheit“ angeführt. Als Vormund wurde ihr Baron Árpárd Blumencron (1838 – 1900), K.u.k.-Hauptmann außer Dienst, zur Seite gestellt. Dieser war vermutlich der ältere Bruder Thereses. Baronin Coudenhove verstarb am 7. Jänner 1920.

Das Gemälde wurde bis dato auf um 1905 datiert. Zieht man jedoch die nun vorliegenden Zeitungsberichte in Betracht, so ergäbe sich eine frühere Datierung, wohl um 1895. Dafür sprechen auch die biografischen Angaben von Broncia Koller-Pinell. Gemeinsam mit ihrem Bruder Friedrich Pineles, einem gefragten Internisten am Allgemeinen Krankenhaus, war sie häufig im Haus der Wiener Frauenrechtlerin Rosa Mayreder eingeladen. Dort lernten sie die Schriftstellerin und Psychoanalytikerin Lou Andreas-Salomé kennen, die sich bald in Friedrich verliebte. Broncia Koller-Pinell war damals schon als Porträtmalerin gefragt. 1891 malte sie die Wiener Frauenrechtlerin Julie Schlesinger. Im Hause Mayreder könnte Broncia Pinell auch Thereses Coudenhoves Bekanntschaft gemacht haben.
Im Kreis der Brucknerianer“ (Hugo Wolf, Fritz Eckstein, Josef und Franz Schalk) hatte die Malerin 1890 den Wiener Arzt und Physiker Dr. Hugo Koller kennengelernt. Im Jahr 1896 heirateten die beiden. Sie übersiedelten nach Hallein, da Hugo Koller in der Zellulosefabrik Golling eine Anstellung als Chefchemiker fand.

Das Gemälde von Therese Coudenhove müsste also noch vor der Übersiedlung in das Bundesland Salzburg angefertigt worden sein. Auch ist es wenig wahrscheinlich, dass Baronin Coudenhove nach ihrem schweren finanziellen Rückschlag, also nach 1896, noch ein Porträt von sich in Auftrag gab. Der finanzielle Engpass und die anschließende vermeintliche Geisteskrankheit der Dargestellten könnten aber ein Grund dafür gewesen sein, weshalb Koller-Pinell das Gemälde letztendlich nie fertigstellte.
Die Kunsthistorikerin Sieglinde Baumgartner verfasste 1989 ihre Dissertation über Broncia Koller-Pinell. Darin erwähnt sie, dass auch die Tochter Silvia ein auf 1928 datiertes Gemälde von Therese Coudenhove gemalt hat.[3] Dies veranlasst die Autorin dazu, das Porträt Broncia Koller-Pinells ebenfalls auf 1928 zu datieren. Dem ist jedoch zu widersprechen, da Therese Coudenhove bereits 1920 verstarb.

Die Provenienz führt für das Gemälde in die Wiener Galerie nächst St. Stephan, die Grafik stammt aus dem Wiener Kunsthandel. Rupert Koller, der Sohn der Künstlerin, verkaufte nach dem Tod seiner Mutter viele Kunstwerke, darunter vermutlich auch dieses Gemälde und seine Vorzeichnung. Demnach wären die beiden Werke bis zum Tode Broncia Koller-Pinells in ihrem Atelier verblieben. Es ist nicht ausgeschlossen, dass Silvia Koller ein im Atelier zurückgebliebenes Gemälde ihrer Mutter kopierte und dann entsprechend datierte. Was als neusachlich eingestuft wurde, ist demnach eher der Skizzenhaftigkeit eines unvollendeten Werkes geschuldet.

Lange Zeit konnte das Rätsel um die unbekannte Baronin nicht gelüftet werden. Durch die nun aufgetauchten Zeitungsberichte kommt etwas Licht in ihre Vita. Die Bildnisse von Therese Coudenhove werden dazu beitragen, auch in Zukunft über ihr Leben zu forschen und vielleicht noch mehr über die unglückliche Baronin in Erfahrung zu bringen.

Provenienz
Die Farbkreidezeichnung wurde 1982 aus Wiener Privatbesitz erworben. Die Provenienz führt in den Wiener Kunsthandel zurück. 

Biografie
1863: geboren in Sanok am San, Galizien, als Tochter des Festungsbaumeisters Saul Pineles
1870: die Familie übersiedelt nach Wien
1881: erster Malunterricht bei Josef Raab und Alois Delug
1885: Besuch der Privatschule von Ludwig Herterich in München. Erste Versuche in der Freilichtmalerei
1890: Rückkehr nach Wien, wo sie im Wiener Künstlerhaus mit dem Bild Sonntag bei der Großmutter debütiert
1893: Ausstellung im Glaspalast in München
1894: Ausstellung im Künstlerhaus Wien
1896: Heirat mit dem Chemiker und Kunstmäzen Hugo Koller
1896/98: Geburt der Kinder Rupert in Hallein und Silvia in Nürnberg
1900: Koller-Pinell erlernt in Nürnberg die Radiertechnik bei Ludwig Kühn
1903: Rückkehr nach Wien. Beteiligung an den Bestrebungen der um Klimt versammelten Gruppe Kunstschau, mit der Koller-Pinell auch ausstellt
1904: Übernahme des Familiengutes in Oberwaltersdorf, das zu einem Künstlertreffpunkt wird
1905: die Freundschaft zu Koloman Moser, Josef Hoffmann und Gustav Klimt intensiviert sich
1908/09: Teilnahme an der Kunstschau und der Internationalen Kunstschau in Wien
1918: Egon Schiele porträtiert Broncia Koller-Pinells Ehemann Dr. Hugo Koller und zeichnet Rupert und Silvia Koller. Broncia malt das Ehepaar Schiele, das sich im August in Oberwaltersdorf erholt
1919: Ausstellung mit der Künstlervereinigung Der Wassermann in Salzburg
1921: Heirat des Sohnes Rupert mit Anna Mahler, der Tochter Gustav und Alma Mahlers
1924: der deutsche Maler Carl Hofer besucht Oberwaltersdorf und porträtiert Broncia Koller-Pinell
1928: Teilnahme an der Ausstellung in der Münchner Secession
1934: gestorben am 24. April in Oberwaltersdorf
1983: Ausstellung in der Neuen Galerie der Stadt Linz gemeinsam mit Erika Giovanna Klien, Birgit Jürgenssen, Elfriede Trautner und Barbara Pflaum

Verwendete Literatur
Boris Manner (Hg.), Broncia Koller (1863 – 1934), Wien 2006.

Künstlerinnen. Österreich – 20. Jahrhundert, Ausstellungskatalog, Neue Galerie der Stadt Linz, Linz 1983.

Sieglinde Baumgartner, Broncia Koller-Pinell. 1863 – 1934. Eine österreichische Malerin zwischen Dilettantismus und Profession. Monographie und Werkverzeichnis, Diss., Universität Salzburg, Salzburg 1989.

Fußnoten
[1]Wiener Salonblatt, Nr. 2, 24. Jänner 1920, S. 6.
[2]Amtsblatt zur Wiener Zeitung, Nr. 110, S. 702, Dienstag, den 12. Mai 1896.
[3] Sieglinde Baumgartner, Broncia Koller-Pinell. 1863 – 1934. Eine österreichische Malerin zwischen Dilettantismus und Profession. Monographie und Werkverzeichnis, Diss., Universität Salzburg, Salzburg 1989, S. 116.

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