Skip to content
G 65 kleiner

G 65_kleiner

Porträtstudie Fritza Riedler, 1904/05
Bleistift und schwarze Kreide auf Packpapier,
45,2 x 31,5 cm

Wer ist die Dame, die sich uns mit interessiertem Blick zuwendet? Sie lebte in Wien, als sich alles um Jugendstil und Secessionismus drehte. Der berühmte Gustav Klimt hielt ihr Antlitz mit ein paar Strichen fest.
Peintre à femmes“ – Gustav Klimt als Leib- und Hofmaler eines neuen, modernen Frauentypus, wie er zur gleichen Zeit in Wien in manchen Werken von Arthur Schnitzler beschrieben und in vielen Sitzungen von Sigmund Freud analysiert wurde: die großbürgerliche Dame (meist jüdischer Provenienz) der Jahrhundertwende, hypersensibel, weltklug und nervös, spätbürgerlich im Raffinement, noch bürgerlich im Beachten von Tabus, aber voll von emotionalen Energien, Heftigkeiten, die nicht mehr zu stillen wären, wenn sie einmal in Brand gerieten […]‘.“(1)

Fritza Riedler wurde am 9. September 1860 als Friederike Langer in Berlin geboren. Gemeinsam mit ihren Geschwistern Paul, Emilie und Alfons besaß sie später in der Wiener Hahngasse 14 ein Haus(2). Paul war Maschinenbauingenieur und Konstrukteur, Alfons wurde Staatsanwalt. Welchen Betätigungen Fritza und ihre Schwester Emilie nachgingen, ist nicht bekannt.
Der 1850 geborene Alois Riedler, Fritzas Ehemann, war ein hochdekorierter(3) Maschinenbauingenieur. Der gebürtige Grazer machte sich als Konstrukteur und Reformer des Maschinenbaustudiums einen Namen. 1888 wurde er an die Technische Hochschule Berlin-Charlottenburg berufen. Hier lehrte und forschte er bis zu seiner Emeritierung im Jahr 1921 und gründete das erste Maschinenlaboratorium(4) der Welt. Bemühungen von öffentlicher und privater Hand, Alois Riedler als Professor nach Wien zu holen, scheiterten, was in der Ausgabe 1903/04 der Zeitschrift Die Fackel heftig kritisiert wurde(5). Die Ehe blieb kinderlos. Alois und Fritza Riedler hatten Wohnsitze in Wien und Berlin. 1921 siedelten sie endgültig nach Wien über, wo Fritza 1927 und ihr Mann Alois 1936 verstarben.

Der Auftrag für ein Porträt dürfte bereits 1904 an Klimt ergangen sein, da ab diesem Jahr mehr als zwanzig Porträtzeichnungen entstanden, die sich heute u. a. im Kunstmuseum Bern, in der Neuen Galerie am Landesmuseum Joanneum in Graz, in der Wiener Albertina, im Wien Museum und in Privatbesitz befinden.
Für das Jahr 1905 ist durch zwei Kartengrüße eine Reise Gustav Klimts nach Berlin belegt(6). Klimt stellte damals auf der 2. Deutschen Künstlerbund-Ausstellung im Ausstellungshaus am Kurfürstendamm 15 Gemälde aus. Er traf dort auf Ferdinand Hodler und erhielt, zusammen mit Hodler und Ulrich Hübner, den Villa-Romana-Preis, den er aber an seinen Malerkollegen Max Kurzweil abtrat.
Zu dieser Zeit betrieb Fritz Gurlitt, der Vater des Gründers der Neuen Galerie der Stadt Linz (Vorgängerinstitution des LENTOS), Wolfgang Gurlitt (1888 – 1965), in der Leipziger Straße in Berlin eine Kunsthandlung und Galerie. Wolfgang Gurlitt übernahm diese Galerie im Jahr 1907. Die Klimt-Forscherin Alice Strobl berichtet über die enge Verbindung der Familie Gurlitt mit Künstlern der Moderne und erwähnt auch die Sympathie Ludwig Gurlitts, Wolfgangs Onkel, für Gustav Klimt. Außerdem überliefert sie, dass Wolfgang Gurlitt eine Sammlung von 100 bis 120 Klimt-Zeichnungen erwarb(7). Aus dieser Sammlung stammt auch das vorliegende Blatt.
Klimt führte das Ölgemälde Fritza Riedler 1906 aus und bereits ein Jahr später war es in der Kunsthalle Mannheim ausgestellt. Fritza trägt ein aufwendig gestaltetes, weißes Kleid mit Rüschen, Volants und Maschen. Die Faltenkonturen und die Nähte des Fauteuils [werden] so gut wie ausschließlich durch das Abbrechen der Wellen- und Augenornamente angegeben“(8) . Einflüsse von Velázquez und der ravennatischen Mosaikkunst tragen zum ornamentalen, flächigen Charakter des Werkes bei. Das Gemälde ist das erste, in dem geschlossene Goldflächen vorkommen“(9) und wird als das erste quadratische Porträt der goldenen Periode‘“(10) bezeichnet. Es befand sich bis zum Tode Fritza Riedlers im Jahr 1927 in ihrem Besitz und ging später auf ihre Schwester Emilie über. Seit 1937 ist es Teil der Kunstsammlung des Belvedere in Wien.
Klimt zeigt uns in der Zeichnung eine munter aus dem Bild blickende Frau. Betrachtet man die einzelnen Vorstudien, so lässt sich eine immer stärkere Hinwendung zum Betrachter feststellen. Trug Fritza auf den frühen Blättern eine Pelzstola, kommt diese in späteren Zeichnungen nicht mehr vor. Die Hände in den Schoß gelegt, richtet sich Fritza aus ihrem Fauteuil auf und scheint mit dem Betrachter (oder vielmehr dem Zeichner) zu kommunizieren. Alles ist in Bewegung: ihr Mund, ihre Augen, ihre Hände. Man spürt förmlich das Knistern und Rascheln ihres Kleides, das den schlanken Körper der Mittvierzigerin umschmeichelt.
Im Vergleich zum Gemälde spart Klimt in der Vorstudie alle stilisierenden, ornamentalen Formen aus. Die Zeichnung fängt die geistesgegenwärtige Präsenz und das Charisma der Dargestellten ein, während im Gemälde Status, Repräsentation und moderne Stilelemente den Ton angeben. Die Zeichnung dokumentiert die persönliche, subjektive, die augenblickliche Position Klimts. In der Zeichnung wirft sich der Blick Klimts auf die Welt. Was dann im Gemälde zurückbleibt, ist die Kunst.“(11)

Secessionsstil
Die Wiener Secession ist eine Vereinigung bildender Künstler aus der Zeit des Fin de Siècle. Davon abgeleitet, wird auch die Wiener Variante des Jugendstils als Secessionsstil oder Wiener Jugendstil bezeichnet. Kennzeichen des Jugendstils ist eine lineare, oft asymmetrische Ornamentik floralen oder geometrischen Ursprungs mit Verfremdungseffekten. Verfeinerte Handwerkskunst, edle und exotische Materialien, gleitender und schwingender Linienfluss und Neigung zu elitärem Geschmack führten zu artifiziell wirkenden Kunstwerken.
Zentrum des Jugendstils in Österreich war Wien, wo die Secession 1897 gegründet wurde. Zu ihren Hauptvertretern gehörten neben dem Maler Gustav Klimt die Architekten Otto Wagner, Josef Hoffmann und Joseph Maria Olbrich sowie der Kunstgewerbler Koloman Moser. Der Secessionsstil bildete die Grundlage für die 1903 gegründete Wiener Werkstätte, welche die Zielsetzungen des Jugendstils weiterverfolgte.

Biografie
1862: am 14. Juli in Baumgarten bei Wien als Sohn eines aus Böhmen stammenden Graveurs geboren
1876 – 1883: Studium an der Staatlichen Kunstgewerbeschule in Wien bei den Professoren Ferdinand Laufberger und Julius Viktor Berger
1886 – 1888: Deckengemälde der seitlichen Stiegenhäuser des Burgtheaters zusammen mit seinem Bruder Ernst und mit Franz Matsch
1888 – 1889: Reisen nach Krakau, Triest, Venedig, München etc.
1890 – 1892: Zwickelfelder und Interkolumnien im Stiegenhaus des Kunsthistorischen Museums in Wien
1891: Mitglied der Genossenschaft bildender Künstler
1892: Tod seines Bruders Ernst
1897: Gründung der Secession und Ernennung zum ersten Präsidenten
1898: erste Ausstellung der Secession
1900: Beteiligung an der Pariser Weltausstellung mit dem Werk Philosophie, erhält Goldmedaille für Ausländer. Anschließend Ausstellung der Philosophie in der Secession
1901: Ausstellung der Medizin in der Secession
1902: Beethovenfries für den linken Seitensaal der Secession (Frühjahrsausstellung)
1903: Kollektivausstellung von 80 Werken in der Secession. Reise nach Ravenna, wo sich Klimt für die Mosaiken begeistert
1905: Austritt aus der Secession. Entwürfe für das Palais Stoclet in Brüssel (fertiggestellt 1911). Reise nach Berlin und Beteiligung an der 2. Deutschen Künstlerbund-Ausstellung im Ausstellungshaus am Kurfürstendamm
1906: Reise nach Belgien und England
1908: Reise nach Florenz. Ausstellung Kunstschau Wien
1909: Ausstellung Internationale Kunstschau Wien. Reise nach Paris und Madrid
1910: begeisterte Aufnahme seiner Werke auf der Biennale in Venedig
1911: internationale Ausstellung in Rom; auf der Reise nach Rom auch Aufenthalt in Florenz
1914: Reise nach Brüssel. Ausstellung des Bundes Österreichischer Künstler in Rom
1917: Ehrenmitglied der Akademie der bildenden Künste in Wien nach ministerieller Ablehnung seiner Professur an diesem Institut. Ehrenmitglied der Akademie der Bildenden Künste in München
1918: am 11. Januar erleidet Klimt einen Gehirnschlag und stirbt am 6. Februar in Wien

Provenienz
Die Grafik wurde 1949 in den Bestand der Neuen Galerie der Stadt Linz (Vorgängerinstitution des LENTOS Kunstmuseum Linz) aufgenommen. Sie stammt aus dem Besitz des Kunsthändlers und ersten Direktors der Neuen Galerie Wolfgang Gurlitt.

Verwendete Literatur
Gustav Klimt. 1862 – 1918. Zeichnungen aus Privatbesitz, Ausstellungskatalog, C. G. Boerner, Düsseldorf 1987.

Toni Stooss, Christoph Doswald (Hg.), Gustav Klimt, Ausstellungskatalog, Kunsthaus Zürich, Stuttgart 1992.

Agnes Husslein-Arco, Alfred Weidinger (Hg.), Gustav Klimt. 150 Jahre, Ausstellungskatalog, Österreichische Galerie Belvedere, Wien 2012.

Tobias G. Natter, Franz Smola, Peter Weinhäupl (Hg.), Klimt persönlich: Bilder – Briefe – Einblicke, Ausstellungskatalog, Leopold Museum, Wien 2012.

Tobias G. Natter, Gerbert Frodl (Hg.), Klimt und die Frauen, Ausstellungskatalog, Österreichische Galerie Belvedere, Wien 2000.

Rainer Metzger, Gustav Klimt. Das graphische Werk, Wien 2005.

Fritz Novotny u. Johannes Dobai, Gustav Klimt, hg. v. Friedrich Welz, Salzburg 1967.

Claus Priesner, Alois Riedler“, in: Neue Deutsche Biographie (NDB), Bd. 21, Berlin 2003, S. 145.

Alice Strobl, Gustav Klimt, Veröffentlichungen der Albertina Nr. 15, Bd. 2: Die Zeichnungen 1904 – 1912, Salzburg 1982.

Fußnoten
1) Christian Brandstätter, in: Toni Stooss, Christoph Doswald (Hg.), Gustav Klimt, Ausstellungskatalog, Kunsthaus Zürich, Stuttgart 1992, S. 325.
2) Vgl. Agnes Husslein-Arco, Alfred Weidinger (Hg.), Gustav Klimt. 150 Jahre, Ausstellungskatalog, Österreichische Galerie Belvedere, Wien 2012, S. 184.
3) Geheimer Regierungsrat, Träger der Franz-Grashof-Denkmünze, Mitglied des Preußischen Herrenhauses, Träger der Goldenen Ehrenmünze des Österr. Ingenieur- und Architektenvereins etc.
4) Vgl. Claus Priesner, Alois Riedler“, in: Neue Deutsche Biographie (NDB), Bd. 21, Berlin 2003, S. 145.
5)Victor Loos, Riedler in Wien“, in: Karl Kraus (Hg.), Die Fackel, Jg. 5, Nr. 148, 02.12.1903, S. 11: Riedler ist der führende Maschineningenieur der Welt. Was soll er also in Österreich? […] Die Zeitungen hatten den Humor, anläßlich seiner jüngsten Anwesenheit in Wien zu verkünden, Riedler werde eine Berufung an die Wiener Technik erhalten. Man höre wohl: an die Wiener Technik! […] Der Gast soll sogar die Technik besucht haben. Er fand sie noch eben so jugendfrisch, wie zur Zeit seiner eigenen Jugend, da er dort als bescheidener Assistent wirkte. […] Riedler hat zuerst von Wien ans [sic!] die Umwälzung der maschinellen Großbetriebe vorausgesagt, im Wiener Ingenieur- und Architektenverein hat der Geheime Regierungsrat Professor Dr. Riedler, Mitglied des preußischen Herrenhauses, ehedem ein Österreicher etc., die Ära der Dampfturbine und der großen Gasmotoren eingeleitet […].“
6) Vgl. Tobias G. Natter, Franz Smola, Peter Weinhäupl (Hg.), Klimt persönlich: Bilder – Briefe – Einblicke, Ausstellungskatalog, Leopold-Museum, Wien 2012, S. 319.
7) Alice Strobl, Gustav Klimt. Zeichnungen. Eine Privatsammlung v. Zeichnungen“, in: Gustav Klimt 1862 – 1918. Zeichnungen aus Privatbesitz, Ausstellungskatalog, C. G. Boerner, Düsseldorf 1987, S. 4. Des Weiteren berichtet Alice Strobl, dass Ludwig Gurlitt (1855 – 1931) schon vorbehaltlos zu Klimt“ stand, als er dessen Fakultätsbilder für die Aula der Wiener Universität in der Kunsthandlung Keller & Reiner in Berlin sah und zahlreiche Zeitgenossen dem Werk des jungen Wieners noch kritisch gegenüber standen. Er bezeichnete Klimt als einen Titanen, einen Pfadfinder und Bahnbrecher, der seiner Zeit das Gepräge gab“.
8) Fritz Novotny, Johannes Dobai, Gustav Klimt, hg. v. F. Welz, Salzburg 1967, S. 40.
9) Tobias G. Natter, Bildnis Fritza Riedler“, in: Tobias G. Natter, Gerbert Frodl (Hg.), Klimt und die Frauen, Ausstellungskatalog, Österreichische Galerie Belvedere, Wien 2000, S. 111.
10) Novotny, Dobei 1967, S. 390.
11) Rainer Metzger, Gustav Klimt. Das graphische Werk, Wien 2005, S. 208.
10) Novotny, Dobai 1967, S. 390.
11) Rainer Metzger, Gustav Klimt. Das graphische Werk, Wien 2005, S. 2.

This website uses cookies. Learn more