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G 8320 Lienbacher

G 8320_Lienbacher

OHNE TITEL, 2002
Feder und Pinsel auf Büttenpapier
60 x 49 cm

Ulrike Lienbacher arbeitet zumeist in Serien und verwendet verschiedene Medien wie Zeichnung, Fotografie, Bildhauerei und Video. Ausgangspunkt ihrer künstlerischen Auseinandersetzung ist der menschliche Körper. Häufig befasst sich die Salzburger Künstlerin mit Themen von Gender und Repräsentationskritik, mit den soziokulturellen Bedingungen, gesellschaftlichen Normen und Vorschriften, denen das soziale Geschlecht ausgesetzt ist.

Die hochformatige Zeichnung aus dem Bestand des LENTOS Kunstmuseum Linz zeigt den Unterkörper einer Figur. Die Arme hält die Person vor dem Körper verschränkt, die Beine sind nebeneinander auf den Boden gestellt. Die Figur selbst wird lediglich durch ihre dunkle Konturlinie dargestellt. Das Bekleidungsstück ist hingegen farbig und durch ein Blumendekor näher charakterisiert.
Der menschliche Torso sitzt mit einer roten, geblümten Unterhose bekleidet auf einem runden Hocker. Als Torso bezeichnet man die Darstellung eines fragmentierten Körpers. Mit diesem Topos befassten sich schon so berühmte Künstler wie Michelangelo und Rodin. In Anlehnung an antike Spolien wurde es im 18. Jahrhundert im großen Stil Mode, Körper fragmentarisch darzustellen. Den Kunstwerken haftet dadurch ein hohes Maß an Künstlichkeit an.
Ein Porträt zielt auf eine Darstellung der körperlichen Ähnlichkeit ab. Das Wesen bzw. die Persönlichkeit sollen ebenfalls zum Ausdruck gebracht werden. Porträts, die einen Großteil des Oberkörpers, der Schultern und der Armabschnitte zeigen, bezeichnet man als Bruststücke. In der Zeichnung Ulrike Lienbachers sehen wir allerdings im Gegensatz dazu die untere Körperpartie. Es handelt es sich daher um eine bewusste Inversion des soeben beschriebenen Bildtypus. Dieser künstlerische Verfremdungsprozess verleiht der Zeichnung einen subversiven, provokanten Ansatz.
Körpervorstellungen sind von der Dichotomie der Geschlechtlichkeit geprägt, ebenso vom Körper/Geist-Dualismus. Der Fantasie und ihren erdrückenden Klischees und heteronormativen historischen Aprioris scheinen keine Grenzen gesetzt zu sein.“[1]

Die schnörkellose Linearität der Körperdarstellung reduziert den Ausdruck des Individuellen auf ein Minimum. Die Darstellung wirkt demnach mehr wie eine Idee von einem Körper als wie ein tatsächlicher Körper. Diese Tendenz zur Vergeistigung betont den diskursiven Ansatz von Lienbachers Arbeit. Der oder die Sitzende wird dadurch zu einem Exempel, an dem das Thema Gender- und Repräsentationskritik abgehandelt werden kann.
Im Bild zieht die rot geblümte Unterhose die Aufmerksamkeit der Betrachtenden auf sich. Diese Fokussierung wird durch die visuelle Gewichtung des Motivs im kompositorischen Zentrum der Darstellung sowie durch die Wahl der visuell schweren Farbe Rot erreicht. Der rote Slip ist die einzige individuelle Note, die der dargestellten Person verliehen wird. Mit der Fragestellung nach Sex und Gender durchleuchtet die Künstlerin die Außenperspektive des Körperlichen, die Differenz zwischen biologischem Geschlecht und dem soziokulturellen Rang einer Person. Aus der roten Unterhose lässt sich – allerdings nicht mit endgültiger Sicherheit – schließen, dass Lienbacher den Unterkörper einer weiblichen Person gemeint haben könnte. In ihrer Zeichnung lässt Lienbacher den Menschen als soziokulturelles Konstrukt zwischen Fremdregulierung und Subjektivierungsleistung hin- und herpendeln.
Die Körperpose mit verschränkten Armen und geschlossenen Beinen würde zu einem Künstlermodell gut passen. Die Frau als Modell – ein klassisches Rollenbild in der Diskussion um Gender und Repräsentationskritik. Es kommt jedoch noch ein weiterer gesellschaftsrelevanter Aspekt zum Tragen: Im Bereich der Medien, der Social Media und auf Internetplattformen werden heutzutage die Grenzen zwischen öffentlicher und privater menschlicher Sphäre heftig penetriert. Lienbachers Grafik schneidet mit ihrer Darstellung einer spärlich bekleideten Person das Thema der Selbstbehauptung in einer Biopolitik an, die in immer intimere Bereiche vordringt.[2]

Biografie
1963: geboren in Oberndorf bei Salzburg
Lebt in Wien und Salzburg
1981 – 1987: Studium an der Hochschule Mozarteum Salzburg, Klasse für Bildhauerei
1994 – 2007: Vorstandsmitglied des Salzburger Kunstvereins
1995: Jahresstipendium des Bundes
2000: Förderpreis für bildende Kunst, Bundeskanzleramt
2001: Großer Salzburger Kunstpreis gemeinsam mit Lois Renner und Christian Schwarzwald
2001 – 2002: Präsidentin des Salzburger Kunstvereins
2002: Förderpreis für Bildende Kunst der Stadt Wien
Seit 2003: Mitglied der Secession Wien
2004: AMI-Kunstpreis Linz
2009: Irma-von-Troll-Borostyáni-Preis

Einzelausstellungen (Auswahl):
2007: Galerie Krinzinger, Wien
Kunsthaus Bregenz
Galerie Lisi Hämmerle, Bregenz
2008: Galerie der Stadt Wels
2009: Cornerhouse Manchester, gemeinsam mit Verina Gfader
2010: Kunstverein Salzburg
2011: Teilnahme an der Ausstellung Rollenbilder. Rollenspiele im Museum der Moderne Salzburg 

Provenienz
Die Grafik wurde 2006 in einer Wiener Galerie erworben.

Literatur
Ulrike Lienbacher, Stella Rollig, Rapunzel, Rapunzel,Wien 2005.

Silvia Eiblmayr (Hg.), Ulrike Lienbacher. Zeichnung / Objekt / Fotografie / Video, Ausstellungskatalog, Galerie im Taxispalais, Innsbruck, Innsbruck 2007. 

Hemma Schmutz (Hg.), Ulrike Lienbacher. Nude, pensive, Ausstellungskatalog, Salzburger Kunstverein, Salzburg 2013.


[1] Heide Hammer, Stefan Vater, Bodily Inscriptions, Performative Subversion‘ – Eine Dekonstruktion von Körperbildern – Cui bono?“, in: Christine Ehardt u. a. (Hg.), Inszenierung von Weiblichkeit“. Zur Konstruktion von Körperbildern in der Kunst, Wien 2011, S. 27 – 44, hier S. 27.
[2] Vgl. Marlen Bidwell-Steiner, Im Blickpunkt: Masken, Personen und Projektionen“, in: Ehardt 2011, S. 15 – 26, hier S. 17.

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