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Ulrike Lienbacher, Ohne Titel , 2002

Feder und Pin­sel auf Büt­ten­pa­pier, 60×49cm

Ulri­ke Lien­ba­cher arbei­tet zumeist in Seri­en und ver­wen­det ver­schie­de­ne Medi­en wie Zeich­nung, Foto­gra­fie, Bild­haue­rei und Video. Aus­gangs­punkt ihrer künst­le­ri­schen Aus­ein­an­der­set­zung ist der mensch­li­che Kör­per. Häu­fig befasst sich die Salz­bur­ger Künst­le­rin mit The­men von Gen­der und Reprä­sen­ta­ti­ons­kri­tik, mit den sozio­kul­tu­rel­len Bedin­gun­gen, gesell­schaft­li­chen Nor­men und Vor­schrif­ten, denen das sozia­le Geschlecht aus­ge­setzt ist.

Die hoch­for­ma­ti­ge Zeich­nung aus dem Bestand des Lentos Kunst­mu­se­um Linz zeigt den Unter­kör­per einer Figur. Die Arme hält die Per­son vor dem Kör­per ver­schränkt, die Bei­ne sind neben­ein­an­der auf den Boden gestellt. Die Figur selbst wird ledig­lich durch ihre dunk­le Kon­tur­li­nie dar­ge­stellt. Das Beklei­dungs­stück ist hin­ge­gen far­big und durch ein Blu­men­de­kor näher charakterisiert.

Der mensch­li­che Tor­so sitzt mit einer roten, geblüm­ten Unter­ho­se beklei­det auf einem run­den Hocker. Als Tor­so bezeich­net man die Dar­stel­lung eines frag­men­tier­ten Kör­pers. Mit die­sem Topos befass­ten sich schon so berühm­te Künst­ler wie Michel­an­ge­lo und Rodin. In Anleh­nung an anti­ke Spo­li­en wur­de es im 18. Jahr­hun­dert im gro­ßen Stil Mode, Kör­per frag­men­ta­risch dar­zu­stel­len. Den Kunst­wer­ken haf­tet dadurch ein hohes Maß an Künst­lich­keit an.
Ein Por­trät zielt auf eine Dar­stel­lung der kör­per­li­chen Ähn­lich­keit ab. Das Wesen bzw. die Per­sön­lich­keit sol­len eben­falls zum Aus­druck gebracht wer­den. Por­träts, die einen Groß­teil des Ober­kör­pers, der Schul­tern und der Arm­ab­schnit­te zei­gen, bezeich­net man als Brust­stü­cke. In der Zeich­nung Ulri­ke Lien­ba­chers sehen wir aller­dings im Gegen­satz dazu die unte­re Kör­per­par­tie. Es han­delt es sich daher um eine bewuss­te Inver­si­on des soeben beschrie­be­nen Bild­ty­pus. Die­ser künst­le­ri­sche Ver­frem­dungs­pro­zess ver­leiht der Zeich­nung einen sub­ver­si­ven, pro­vo­kan­ten Ansatz.

Kör­per­vor­stel­lun­gen sind von der Dicho­to­mie der Geschlecht­lich­keit geprägt, eben­so vom Kör­per/­Geist-Dua­lis­mus. Der Fan­ta­sie und ihren erdrü­cken­den Kli­schees und hete­ro­nor­ma­ti­ven his­to­ri­schen Aprio­ris schei­nen kei­ne Gren­zen gesetzt zu sein.“1


Die schnör­kel­lo­se Linea­ri­tät der Kör­per­dar­stel­lung redu­ziert den Aus­druck des Indi­vi­du­el­len auf ein Mini­mum. Die Dar­stel­lung wirkt dem­nach mehr wie eine Idee von einem Kör­per als wie ein tat­säch­li­cher Kör­per. Die­se Ten­denz zur Ver­geis­ti­gung betont den dis­kur­si­ven Ansatz von Lien­ba­chers Arbeit. Der oder die Sit­zen­de wird dadurch zu einem Exem­pel, an dem das The­ma Gen­der- und Reprä­sen­ta­ti­ons­kri­tik abge­han­delt wer­den kann.

Im Bild zieht die rot geblüm­te Unter­ho­se die Auf­merk­sam­keit der Betrach­ten­den auf sich. Die­se Fokus­sie­rung wird durch die visu­el­le Gewich­tung des Motivs im kom­po­si­to­ri­schen Zen­trum der Dar­stel­lung sowie durch die Wahl der visu­ell schwe­ren Far­be Rot erreicht. Der rote Slip ist die ein­zi­ge indi­vi­du­el­le Note, die der dar­ge­stell­ten Per­son ver­lie­hen wird. Mit der Fra­ge­stel­lung nach Sex und Gen­der durch­leuch­tet die Künst­le­rin die Außen­per­spek­ti­ve des Kör­per­li­chen, die Dif­fe­renz zwi­schen bio­lo­gi­schem Geschlecht und dem sozio­kul­tu­rel­len Rang einer Per­son. Aus der roten Unter­ho­se lässt sich – aller­dings nicht mit end­gül­ti­ger Sicher­heit – schlie­ßen, dass Lien­ba­cher den Unter­kör­per einer weib­li­chen Per­son gemeint haben könn­te. In ihrer Zeich­nung lässt Lien­ba­cher den Men­schen als sozio­kul­tu­rel­les Kon­strukt zwi­schen Fremd­re­gu­lie­rung und Sub­jek­ti­vie­rungs­leis­tung hin- und herpendeln.

Die Kör­per­po­se mit ver­schränk­ten Armen und geschlos­se­nen Bei­nen wür­de zu einem Künst­ler­mo­dell gut pas­sen. Die Frau als Modell – ein klas­si­sches Rol­len­bild in der Dis­kus­si­on um Gen­der und Reprä­sen­ta­ti­ons­kri­tik. Es kommt jedoch noch ein wei­te­rer gesell­schafts­re­le­van­ter Aspekt zum Tra­gen: Im Bereich der Medi­en, der Social Media und auf Inter­net­platt­for­men wer­den heut­zu­ta­ge die Gren­zen zwi­schen öffent­li­cher und pri­va­ter mensch­li­cher Sphä­re hef­tig pene­triert. Lien­ba­chers Gra­fik schnei­det mit ihrer Dar­stel­lung einer spär­lich beklei­de­ten Per­son das The­ma der Selbst­be­haup­tung in einer Bio­po­li­tik an, die in immer inti­me­re Berei­che vor­dringt.2

Bio­gra­fie

1963:

gebo­ren in Obern­dorf bei Salz­burg
lebt in Wien und Salzburg

1981 – 1987:

Stu­di­um an der Hoch­schu­le Mozar­te­um Salz­burg, Klas­se für Bildhauerei

1994 – 2007:

Vor­stands­mit­glied des Salz­bur­ger Kunstvereins

1995:

Jah­res­sti­pen­di­um des Bundes

2000:

För­der­preis für bil­den­de Kunst, Bundeskanzleramt

2001:

Gro­ßer Salz­bur­ger Kunst­preis gemein­sam mit Lois Ren­ner und Chris­ti­an Schwarzwald

2001 – 2002:

Prä­si­den­tin des Salz­bur­ger Kunstvereins

2002:

För­der­preis für Bil­den­de Kunst der Stadt Wien

Seit 2003:

Mit­glied der Seces­si­on Wien

2004:

AMI-Kunst­preis Linz

2009:

Irma-von-Troll-Boros­tyá­ni-Preis

Ein­zel­aus­stel­lun­gen (Aus­wahl)

2007:

Gale­rie Krin­zin­ger, Wien
Kunst­haus Bregenz
Gale­rie Lisi Häm­mer­le, Bregenz

2008:

Gale­rie der Stadt Wels

2009:

Cor­ner­house Man­ches­ter, gemein­sam mit Veri­na Gfader

2010:

Kunst­ver­ein Salzburg

2011:

Teil­nah­me an der Aus­stel­lung Rol­len­bil­der. Rol­len­spie­le im Muse­um der Moder­ne Salzburg 

Pro­ve­ni­enz

Die Gra­fik wur­de 2006 in einer Wie­ner Gale­rie erworben.

Lite­ra­tur

Ulri­ke Lien­ba­cher, Stel­la Rol­lig, Rapun­zel, Rapun­zel,Wien 2005.

Sil­via Eiblmayr (Hg.), Ulri­ke Lien­ba­cher. Zeich­nung / Objekt / Foto­gra­fie / Video, Aus­stel­lungs­ka­ta­log, Gale­rie im Taxis­pa­lais, Inns­bruck, Inns­bruck 2007. 

Hem­ma Schmutz (Hg.), Ulri­ke Lien­ba­cher. Nude, pen­si­ve, Aus­stel­lungs­ka­ta­log, Salz­bur­ger Kunst­ver­ein, Salz­burg 2013.

  1. Heide Hammer, Stefan Vater, „ ‚Bodily Inscriptions, Performative Subversion‘ – Eine Dekonstruktion von Körperbildern – Cui bono?“, in: Christine Ehardt u. a. (Hg.), Inszenierung von „Weiblichkeit“. Zur Konstruktion von Körperbildern in der Kunst, Wien 2011, S. 27–44, hier S. 27.
  2. Vgl. Marlen Bidwell-Steiner, „Im Blickpunkt: Masken, Personen und Projektionen“, in: Ehardt 2011, S. 15–26, hier S. 17.

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