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G 7116

G 7116

Bahndamm bei Wels, 1933
Aquarell auf Papier, 20,9 x 27,9 cm
Schenkung Gernot Kinz

Kennen Sie eigentlich die Arbeiten von Traeger? Ich habe sie und ihn erst vor Weihnachten kennengelernt und finde, daß Traeger um eine ganze Klasse seine oberösterreichischen Alterskollegen überragt. – Ich bin sehr gespannt, wie er sich weiter entwickeln wird [ …] Ich glaube, sowohl seine graphischen Arbeiten, wie seine Aquarelle und Ölgemälde würden Ihnen sehr zusagen. – Er hat keine Ähnlichkeit mit Faistauer, Kolig, Wiegele, Kokoschka, Dombrowsky, Kitt usw. und doch scheint mir, daß Teile dieser Maler in ihm sozusagen eine neue Summe bilden […]“[1]

Wilhelm Träger entstammt der Wiener Maltradition um Wilhelm Dachauer und Josef Jungwirth. 1930 legte er die Lehramtsprüfungen für Mathematik, darstellende Geometrie und Freihandzeichnen für höhere Schulen in Wien ab, um sodann mit dem Unterricht an einer Wiener Realschule zu beginnen. Am 31. Dezember 1933 wurde er als Lehrer nach Wels versetzt.

Das vorliegende Blatt entstand im Jahr der Übersiedlung von der Großstadt Wien aufs Land. Im Wien der 1930er-Jahre hatte der Künstler das soziale Elend gesehen. Eine 1932 entstandene Linolschnittserie zeigt unter anderem das Leben der gestrandeten Stadtbewohner: Da sind die Bettler. Können eigentlich junge Menschen von heute verstehen, daß die goldene Weanastadt einmal voll von ihnen war? Sie gehören zu meinen frühesten Kindheitseindrücken. Niemand aus der Generation von Wilhelm Traeger oder aus der meinen hat sie vergessen, kann sie je vergessen.“[2] Angesichts von Traegers Linolschnittserie Wien 1932 resümiert Paul Patera: Es ist das Wien der armen Leute, des Proletariats, der Erniedrigten und der Beleidigten, aber auch das Wien der feisten Direktoren und derer, die sich’s gerichtet haben, die sich’s leisten können, im Auto zu fahren nach einer üppigen Mahlzeit in einem Nobelrestaurant.“[3] In Wien 1932 hat sich Traeger somit mit der Schilderung des Großstadtlebens, einem klassischen Thema neusachlicher Kunst, auseinandergesetzt.

Mit der Übersiedlung nach Wels beginnt für den Wiener Künstler eine neue Schaffensperiode. In Bahndamm bei Wels hält Traeger einen Ort an der Peripherie fest, ein Stück Eisenbahnschienen rund um eine Provinzstadt. Er stellt keinen einfahrenden Dampfzug mit Rauch und Qualm wie ehedem der Impressionist Claude Monet dar, sondern eine Szenerie, die völlig unaufgeregt, menschenlos und brach daliegt. Nichts ereignet sich. Wir sehen die schräg geführten Bahngeleise und die sie flankierenden Strommasten. Links davon ragen ein paar Gebäude in den Himmel, der von zarten blauen Wolken bedeckt ist. Damit scheint der Künstler das traditionell Nicht-Bildwürdige bildwürdig machen zu wollen.

1919 hatte der Expressionist Ludwig Meidner in seinem Septemberschrei-Manifest pathetisch in eine neue Richtung gewiesen: Worauf es morgen ankommt, was mir und allen Anderen nottut, ist ein fanatischer, inbrünstiger Naturalismus.“[4] Ein Naturalismus, möchte man ergänzen, der sichtbare Bestände festhält, ohne zu werten.

Die Bildsprache der neusachlichen Künstler reflektiert die fortschreitende Technifizierung, die Urbanisierung und das damit einhergehende Hinauswachsen der Städte auf zuvor unbebautes Naturterrain. Traeger ist mit dem Aquarell Bahndamm bei Wels motivisch gesehen auf einen fahrenden Zug“ aufgesprungen. Die Darstellung entspricht voll und ganz dem damaligen Zeitgeist. Ähnlich wie Traeger stellt der deutsche Maler Xaver Fuhr eine Eisenbahnbrücke (1928) dar, zeigt Max Radler eine Bahnunterführung (1932) oder Reinhold Nägele eine Bahnlinie (1922).

Die neue technische Zivilisation, deren Umrisse sich nach dem Ersten Weltkrieg langsam abzeichneten, wurde von den neusachlichen Künstlern illusionslos akzeptiert, ohne daß sie deshalb irgendeiner Technikschwärmerei verfielen. […] Ihre Bilder drücken durch Angleichung des Menschen an die sachlichen Prozeduren und Erfordernisse der Technik und durch ihre analytische Erfassung der Vereinzelung die Hoffnung aus, diese Welt beherrschen und kontrollieren zu können.“[5]

Mit den sich in der Unendlichkeit verlierenden Linien der Geleise gelingt es dem Künstler, den Geist des Betrachters in die Ferne zu lenken, in das Anderswo, in dem in Gedanken ländliche Agonie eventuell städtischer Betriebsamkeit weichen könnte. Somit können wir Traegers Aquarell vom Welser Bahndamm als urbanisierte Landschaft, als Zustandsprotokoll der ländlichen Ereignislosigkeit oder vielleicht auch als Bild der Sehnsucht nach der Großstadt deuten.

Biografie
1907: am 25. Mai in Wien geboren
1921: reist mit der dänischen Hilfsaktion für Wiener Kinder nach Dänemark. Bis 1935 jeden Sommer Aufenthalt bei der dänischen Gastfamilie
1926 – 1932: Studium an der Akademie der bildenden Künste Wien bei Wilhelm Dachauer und Josef Jungwirth sowie an der Technischen Hochschule Wien Mathematik und Darstellende Geometrie
1929: Erhält den Fügerpreis an der Akademie für das Gemälde Kreuzabnahme
1933 – 1936: Kunsterzieher an Mittelschulen in Wien, Wels und Ried im Innkreis
1935: Mitglied des Oö. Kunstvereins, Secssion Wien und des Wiener Künstlerhauses
1936: Übersiedlung nach Ried im Innkreis
1939 – 1945: militärische Dienstzeit als PK-Berichterstatter der Deutschen Wehrmacht
1945: Mitglied der Gesellschaft bildender Künstler (Künstlerhaus Wien) und der Innviertler Künstlergilde; Ankauf von Zeichnungen und Aquarellen durch das Heeresgeschichtliche Museum Wien (Arsenal)
1958: durch Wahl Mitgliedschaft im Centre International de l’Actualité Fantastique et Magique (CIAFMA), Brüssel
1960: es entstehen erste Collagebilder, die prägend für Traegers Spätwerk werden
1966: Mitglied im Künstlerzentrum Schloss Parz bei Grieskirchen
1968: Mitglied des Salzburger Kunstvereins
1970 – 1974: Präsident des Oö. Kunstvereins
1973: Ehrenpreis für Malerei des Salzburger Kunstvereins
1974: Kulturmedaille der Stadt Wels
1976: Herausgabe einer Linolschnittfolge von 41 Blättern unter dem Titel Wien 1932
1977: Eröffnung der Galerie Willys alte Backstube in Ried im Innkreis
1979: Österreichisches Ehrenkreuz für Wissenschaft und Kunst
1980: am 10. Juli in Ried im Innkreis gestorben

Provenienz
Die Grafik kam als Stiftung von Gernot Kinz im Jahr 1999 in den Besitz des LENTOS Kunstmuseum Linz.

Verwendete Literatur
Sergiusz Michalski, Neue Sachlichkeit. Malerie, Graphik und Photographie in Deutschland 1919 – 1933, Köln 1992.

Wilhelm Traeger, Ausstellungskatalog, OÖ. Kunstverein, Linz 1982.
Wien 1932. Eine Folge von 41 Linolschnitten, mit einem Textbeitrag von Paul Patera, Wien 1976.

Traeger. Collagen, Ausstellungskatalog, mit einem Text von Herbert Lange, Ried im Innkreis o. J.

[1]Ernst August von Mandelsloh an Alfred Kubin, Brief vom 3. Jänner 1939, zitiert nach: Wilhelm Traeger, Ausstellungskatalog, OÖ. Kunstverein, Linz 1982, o. S.

[2]Paul Patera, in: Wien 1932. Eine Folge von 41 Linolschnitten, mit einem Textbeitrag von Paul Patera, Wien 1976, o. S.
[3]ebd.
[4]Sergiusz Michalski, Neue Sachlichkeit. Stil und Begriffsgeschichte“, in: ders., Neue Sachlichkeit. Malerei, Graphik und Photographie in Deutschland 1919 – 1933, Köln 1992, S. S. 15- 20, hier S. 15.
[5]Sergiusz Michalski, Neusachliche Ikonographie. Der isolierende Blick auf die Dinge“, in: ders. 1992, S. 158 – 179, hier S. 166.

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