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Wilhelm Traeger, Bahndamm bei Wels , 1933

Aqua­rell auf Papier, 20,9×27,9cm, Schen­kung Ger­not Kin

Ken­nen Sie eigent­lich die Arbei­ten von Tra­e­ger? Ich habe sie und ihn erst vor Weih­nach­ten ken­nen­ge­lernt und fin­de, daß Tra­e­ger um eine gan­ze Klas­se sei­ne ober­ös­ter­rei­chi­schen Alters­kol­le­gen über­ragt. – Ich bin sehr gespannt, wie er sich wei­ter ent­wi­ckeln wird [ …] Ich glau­be, sowohl sei­ne gra­phi­schen Arbei­ten, wie sei­ne Aqua­rel­le und Ölge­mäl­de wür­den Ihnen sehr zusa­gen. – Er hat kei­ne Ähn­lich­keit mit Faistau­er, Kolig, Wie­ge­le, Kokosch­ka, Dom­brow­sky, Kitt usw. und doch scheint mir, daß Tei­le die­ser Maler in ihm sozu­sa­gen eine neue Sum­me bil­den […]“1

Wil­helm Trä­ger ent­stammt der Wie­ner Mal­tra­di­ti­on um Wil­helm Dach­au­er und Josef Jung­wirth. 1930 leg­te er die Lehr­amts­prü­fun­gen für Mathe­ma­tik, dar­stel­len­de Geo­me­trie und Frei­hand­zeich­nen für höhe­re Schu­len in Wien ab, um sodann mit dem Unter­richt an einer Wie­ner Real­schu­le zu begin­nen. Am 31. Dezem­ber 1933 wur­de er als Leh­rer nach Wels versetzt.


Das vor­lie­gen­de Blatt ent­stand im Jahr der Über­sied­lung von der Groß­stadt Wien aufs Land. Im Wien der 1930er-Jah­re hat­te der Künst­ler das sozia­le Elend gese­hen. Eine 1932 ent­stan­de­ne Lin­ol­schnitt­se­rie zeigt unter ande­rem das Leben der gestran­de­ten Stadt­be­woh­ner: Da sind die Bett­ler. Kön­nen eigent­lich jun­ge Men­schen von heu­te ver­ste­hen, daß die gol­de­ne Wea­na­stadt ein­mal voll von ihnen war? Sie gehö­ren zu mei­nen frü­hes­ten Kind­heits­ein­drü­cken. Nie­mand aus der Genera­ti­on von Wil­helm Tra­e­ger oder aus der mei­nen hat sie ver­ges­sen, kann sie je ver­ges­sen.“2 Ange­sichts von Tra­e­gers Lin­ol­schnitt­se­rie Wien 1932 resü­miert Paul Pate­ra: Es ist das Wien der armen Leu­te, des Pro­le­ta­ri­ats, der Ernied­rig­ten und der Belei­dig­ten, aber auch das Wien der feis­ten Direk­to­ren und derer, die sich’s gerich­tet haben, die sich’s leis­ten kön­nen, im Auto zu fah­ren nach einer üppi­gen Mahl­zeit in einem Nobel­re­stau­rant.“3 In Wien 1932 hat sich Tra­e­ger somit mit der Schil­de­rung des Groß­stadt­le­bens, einem klas­si­schen The­ma neu­sach­li­cher Kunst, auseinandergesetzt.


Mit der Über­sied­lung nach Wels beginnt für den Wie­ner Künst­ler eine neue Schaf­fens­pe­ri­ode. In Bahn­damm bei Wels hält Tra­e­ger einen Ort an der Peri­phe­rie fest, ein Stück Eisen­bahn­schie­nen rund um eine Pro­vinz­stadt. Er stellt kei­nen ein­fah­ren­den Dampf­zug mit Rauch und Qualm wie ehe­dem der Impres­sio­nist Clau­de Monet dar, son­dern eine Sze­ne­rie, die völ­lig unauf­ge­regt, men­schen­los und brach daliegt. Nichts ereig­net sich. Wir sehen die schräg geführ­ten Bahn­ge­lei­se und die sie flan­kie­ren­den Strom­mas­ten. Links davon ragen ein paar Gebäu­de in den Him­mel, der von zar­ten blau­en Wol­ken bedeckt ist. Damit scheint der Künst­ler das tra­di­tio­nell Nicht-Bild­wür­di­ge bild­wür­dig machen zu wollen.


1919 hat­te der Expres­sio­nist Lud­wig Meid­ner in sei­nem Sep­tem­ber­schrei-Mani­fest pathe­tisch in eine neue Rich­tung gewie­sen: Wor­auf es mor­gen ankommt, was mir und allen Ande­ren not­tut, ist ein fana­ti­scher, inbrüns­ti­ger Natu­ra­lis­mus.“4 Ein Natu­ra­lis­mus, möch­te man ergän­zen, der sicht­ba­re Bestän­de fest­hält, ohne zu werten.

Die Bild­spra­che der neu­sach­li­chen Künst­ler reflek­tiert die fort­schrei­ten­de Tech­ni­fi­zie­rung, die Urba­ni­sie­rung und das damit ein­her­ge­hen­de Hin­aus­wach­sen der Städ­te auf zuvor unbe­bau­tes Natur­ter­rain. Tra­e­ger ist mit dem Aqua­rell Bahn­damm bei Wels moti­visch gese­hen auf einen fah­ren­den Zug“ auf­ge­sprun­gen. Die Dar­stel­lung ent­spricht voll und ganz dem dama­li­gen Zeit­geist. Ähn­lich wie Tra­e­ger stellt der deut­sche Maler Xaver Fuhr eine Eisen­bahn­brü­cke (1928) dar, zeigt Max Rad­ler eine Bahn­un­ter­füh­rung (1932) oder Rein­hold Näge­le eine Bahn­li­nie (1922).


Die neue tech­ni­sche Zivi­li­sa­ti­on, deren Umris­se sich nach dem Ers­ten Welt­krieg lang­sam abzeich­ne­ten, wur­de von den neu­sach­li­chen Künst­lern illu­si­ons­los akzep­tiert, ohne daß sie des­halb irgend­ei­ner Tech­nik­schwär­me­rei ver­fie­len. […] Ihre Bil­der drü­cken durch Anglei­chung des Men­schen an die sach­li­chen Pro­ze­du­ren und Erfor­der­nis­se der Tech­nik und durch ihre ana­ly­ti­sche Erfas­sung der Ver­ein­ze­lung die Hoff­nung aus, die­se Welt beherr­schen und kon­trol­lie­ren zu kön­nen.“5

Mit den sich in der Unend­lich­keit ver­lie­ren­den Lini­en der Gelei­se gelingt es dem Künst­ler, den Geist des Betrach­ters in die Fer­ne zu len­ken, in das Anders­wo, in dem in Gedan­ken länd­li­che Ago­nie even­tu­ell städ­ti­scher Betrieb­sam­keit wei­chen könn­te. Somit kön­nen wir Tra­e­gers Aqua­rell vom Wel­ser Bahn­damm als urba­ni­sier­te Land­schaft, als Zustands­pro­to­koll der länd­li­chen Ereig­nis­lo­sig­keit oder viel­leicht auch als Bild der Sehn­sucht nach der Groß­stadt deuten.

Bio­gra­fie

1907:

am 25. Mai in Wien geboren

1921:

reist mit der däni­schen Hilfs­ak­ti­on für Wie­ner Kin­der nach Däne­mark. Bis 1935 jeden Som­mer Auf­ent­halt bei der däni­schen Gastfamilie

1926 – 1932:

Stu­di­um an der Aka­de­mie der bil­den­den Küns­te Wien bei Wil­helm Dach­au­er und Josef Jung­wirth sowie an der Tech­ni­schen Hoch­schu­le Wien Mathe­ma­tik und Dar­stel­len­de Geometrie

1929:

Erhält den Füger­preis an der Aka­de­mie für das Gemäl­de Kreuzabnahme

1933 – 1936:

Kunst­er­zie­her an Mit­tel­schu­len in Wien, Wels und Ried im Innkreis

1935:

Mit­glied des Oö. Kunst­ver­eins, Secs­si­on Wien und des Wie­ner Künstlerhauses

1936:

Über­sied­lung nach Ried im Innkreis

1939 – 1945:

mili­tä­ri­sche Dienst­zeit als PK-Bericht­erstat­ter der Deut­schen Wehrmacht

1945:

Mit­glied der Gesell­schaft bil­den­der Künst­ler (Künst­ler­haus Wien) und der Inn­viert­ler Künst­ler­gil­de; Ankauf von Zeich­nun­gen und Aqua­rel­len durch das Hee­res­ge­schicht­li­che Muse­um Wien (Arse­nal)

1958:

durch Wahl Mit­glied­schaft im Cent­re Inter­na­tio­nal de l’Actualité Fan­tas­tique et Magi­que (CIAF­MA), Brüssel

1960:

es ent­ste­hen ers­te Col­la­ge­bil­der, die prä­gend für Tra­e­gers Spät­werk werden

1966:

Mit­glied im Künst­ler­zen­trum Schloss Parz bei Grieskirchen

1968:

Mit­glied des Salz­bur­ger Kunstvereins

1970 – 1974:

Prä­si­dent des Oö. Kunstvereins

1973:

Ehren­preis für Male­rei des Salz­bur­ger Kunstvereins

1974:

Kul­tur­me­dail­le der Stadt Wels

1976:

Her­aus­ga­be einer Lin­ol­schnitt­fol­ge von 41 Blät­tern unter dem Titel Wien 1932

1977:

Eröff­nung der Gale­rie Wil­lys alte Back­stu­be in Ried im Innkreis

1979:

Öster­rei­chi­sches Ehren­kreuz für Wis­sen­schaft und Kunst

1980:

am 10. Juli in Ried im Inn­kreis gestorben

Pro­ve­ni­enz

Die Gra­fik kam als Stif­tung von Ger­not Kinz im Jahr 1999 in den Besitz des Lentos Kunst­mu­se­um Linz.

Ver­wen­de­te Literatur

Ser­giu­sz Mich­alski, Neue Sach­lich­keit. Male­rie, Gra­phik und Pho­to­gra­phie in Deutsch­land 1919 – 1933, Köln 1992.

Wil­helm Tra­e­ger, Aus­stel­lungs­ka­ta­log, OÖ. Kunst­ver­ein, Linz 1982.
Wien 1932. Eine Fol­ge von 41 Lin­ol­schnit­ten, mit einem Text­bei­trag von Paul Pate­ra, Wien 1976.

Tra­e­ger. Col­la­gen, Aus­stel­lungs­ka­ta­log, mit einem Text von Her­bert Lan­ge, Ried im Inn­kreis o. J. 

  1. Ernst August von Mandelsloh an Alfred Kubin, Brief vom 3. Jänner 1939, zitiert nach: Wilhelm Traeger, Ausstellungskatalog, OÖ. Kunstverein, Linz 1982, o. S.
  2. Paul Patera, in: Wien 1932. Eine Folge von 41 Linolschnitten, mit einem Textbeitrag von Paul Patera, Wien 1976, o. S.
  3. Ebd.
  4. Sergiusz Michalski, „Neue Sachlichkeit. Stil und Begriffsgeschichte“, in: ders., Neue Sachlichkeit. Malerei, Graphik und Photographie in Deutschland 1919–1933, Köln 1992, S. S. 15- 20, hier S. 15.
  5. Sergiusz Michalski, „Neusachliche Ikonographie. Der isolierende Blick auf die Dinge“, in: ders. 1992, S. 158-179, hier S. 166.

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