Uli Aigner
Keimzelle des Staates
Das Ich, die Anderen, die Familie, die Gegenwart, die Wünsche, die Kunst, die Geborgenheit, die Ausgesetztheit, das Persönliche, das Politische, das Poetische. In ihrer Präsentation im Lentos verdichtet die österreichische Künstlerin Uli Aigner die Themen, um die ihr Werk in bemerkenswerter Medien- und Materialfülle kreist, auf eine raumbezogene Installation von großformatigen Zeichnungen mit einer neuen Serie von Objekten.
Man betritt den Raum, und es flirrt vor den Augen: Form und Farbe. Die Entschlüsselung von Thema und Bedeutung lässt sich ikonografisch beginnen. Was wird dargestellt? Die Zeichnungen zeigen wechselnde Konfigurationen von Frau, Mann, drei Kindern – eine Familie. Die Objekte sind Möbel: Dinge zum Sitzen, zum Liegen. Transformationswerk-zeuge, die den Menschen aus der üblichen Hast in Ruhe versetzen, in Entspannung, Kontemplation, Konzentration auf den Austausch mit anderen oder mit sich selbst. Das Thema scheint die Sphäre des Privaten zu sein. Doch hier kommt man nicht „nach Hause”. Das Schwindelgefühl hält an. Die Zeichnungen mit ihren verwirrenden Raumverhältnissen, mit ihrer medialen Cut-and-paste-Organisation der Motive erzeugen einen Strudel, einen Sog, der sich an keiner Mitte zentrieren und ausbalancieren lässt. Die Konturen der Möbel in einheitlich grellem, hellen Gelb lösen sich vor den Augen wie Farbpulver in Wasser und verschmelzen mit der Luft, mit den Wänden, mit den zügig schraffierten Flächen auf dem Papier. Das ist ein Leitmotiv: Grenzen sind Illusionen. Es gibt keine klaren Trennungen: nicht zwischen Kunst und Leben. In „Metanoia” (1995), einem digital animierten Video, hat Uli Aigner eine Frau vorgestellt, die gegen ihren Willen bei jeder Berührung mit den Dingen verschmilzt und deren Gestalt annimmt. Grenzenlose Identifikation/Infizierung. „Keimzelle des Staates”: Ich bin der Gotteskrieger, ich bin Ich-als-Kind, ich bin alles, womit ich in Berührung gekommen bin.
Die Familie ist die Keimzelle des Staates, die Künstlerin ist die Keimzelle des Museums. Keine/r kann sich der Verantwortlichkeit entziehen, die sie oder er für die eigenen Taten und die eigene Sehnsucht zu tragen hat. Die Wirkung und die Folgen sind nie zu unterschätzen.