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Egon Schiele, Doppelbildnis Heinrich und Otto Benesch, 1913

Öl auf Lein­wand, 121 x 130 cm

Samm­lung Lentos Kunst­mu­se­um Linz, Inv. Nr. 12


Das 1913 ent­stan­de­ne Dop­pel­bild­nis Hein­rich und Otto Ben­esch” zählt zu den Haupt­wer­ken des öster­rei­chi­schen Expres­sio­nis­mus. Das psy­cho­lo­gi­sie­ren­de Gemäl­de stellt zwei Bekann­te des Künst­lers dar: Hein­rich Ben­esch, väter­li­cher Freund seit 1908, treu­er Schie­le-Samm­ler, Zen­tral­inspek­tor bei der k.u.k. Eisen­bahn, sowie sei­nen damals 17 jäh­ri­gen Sohn Otto Bensch, der sich als Kunst­his­to­ri­ker und lang­jäh­ri­ger Alber­ti­na Direk­tor Haupt­ver­diens­te für den spä­te­ren Auf­bau der Schie­le-Samm­lung in der Alber­ti­na erwor­ben hat.

Die Begeis­te­rung der Fami­lie Ben­esch für Schie­les damals umstrit­te­nes Werk äußert sich in zahl­rei­chen Kor­re­spon­den­zen. So schreibt Ben­esch, der Schie­le stets mit klei­nen Geld­be­trä­gen aus­hilft und ihn als ein­zi­ger Freund im Gefäng­nis besucht, im Jahr 1910:

”… um eines bit­te ich Sie noch, lie­ber Herr Schie­le, ste­cken Sie von Ihren Skiz­zen, was immer es sein möge, auch von den kleins­ten unschein­ba­ren Sachen, nichts in den Ofen. Bit­te schrei­ben Sie auf Ihren Ofen fol­gen­de Glei­chung: Ofen=Benesch”…“

Am 18. März 1913, kurz vor der Ent­ste­hung des Dop­pel­bild­nis­ses, ver­fasst Ben­esch fol­gen­de Zei­len:

”… Sie haben mir zwar schon zwei­mal ver­spro­chen, mich zu zeich­nen, aber Ihr Ver­spre­chen bis­her … nicht ein­ge­löst. Allen Ihren Kunst­freun­den haben Sie die­sen Lie­bes­dienst erwie­sen, nur mir nicht. Womit habe ich es ver­dient, daß Sie gera­de mich aus­schlie­ßen? Bin ich Ihnen die­se Auf­merk­sam­keit nicht wert? Es ist mir dabei doch nur dar­um zu tun, ein sicht­ba­res Zei­chen Ihrer Sym­pa­thie zu besit­zen und nicht etwa dar­um, ein Por­trait von mir zu haben. Frei­lich haben Sie mir die Freu­de dar­an zum Teil schon dadurch ver­dor­ben, daß ich Sie an Ihr Ver­spre­chen erin­nern muß. Es ist bit­ter, von einem Freun­de als quan­ti­té negli­ge­ab­le behan­delt zu wer­den …”

In der end­gül­ti­gen Fas­sung ste­hen Vater und Sohn, jeder für sich iso­liert, mit abge­wand­tem Blick ein­an­der gegen­über. Der domi­nant wir­ken­de Vater in Rücken­an­sicht im Vor­der­grund drängt sei­nen Sohn mit der aus­grei­fen­den lin­ken Hand in den Hin­ter­grund. Wie meh­re­re Skiz­zen bele­gen, ändert Schie­le erst wäh­rend des Mal­vor­gan­ges sein ursprüng­li­ches Kon­zept (der lin­ke her­ab­ge­sun­ke­ne Arm von Hein­rich Ben­esch ist noch sicht­bar).
Die for­ma­le Neue­rung bewirkt eine Ver­än­de­rung der gesam­ten Bild­kom­po­si­ti­on: der aus­ge­streck­te Arm, der wie eine Bar­ri­ka­de wirkt, ver­stärkt das Span­nungs­ver­hält­nis zwi­schen Vater und Sohn, zugleich stellt er die ein­zi­ge Ver­bin­dung zwi­schen den bei­den Gestal­ten her. Hein­rich Ben­esch wird als zupa­cken­de Per­sön­lich­keit geschil­dert, er scheint sei­nen schüch­tern und ver­schlos­sen wir­ken­den Sohn vor den visu­el­len Zugrif­fen des Betrach­ters zu schüt­zen. Der über­stei­ger­te Gesichts­aus­druck bei den Por­trä­tier­ten und ihre Kör­per­spra­che – der Vater in aus­ufern­der hek­ti­scher Bewe­gung, der intro­ver­tiert wir­ken­de Sohn mit ver­krampf­ten Hän­den – las­sen einen Genera­ti­ons­kon­flikt erah­nen. Durch Über­deh­nung der Pro­por­tio­nen und Über­stei­ge­rung der Far­ben wer­den die Dar­ge­stell­ten demas­kiert, durch Defor­ma­ti­on des Phy­si­schen wer­den psy­chi­sche Zustän­de – Leid, Depres­si­on, Erregt­heit – erfahr­bar.
Der Bild­auf­bau ist klar, tek­to­nisch geglie­dert und von vor­wie­gend ver­ti­ka­len Ach­sen domi­niert. Der har­ten, sprö­den Zeich­nung ent­spricht die extrem spar­sa­me Farb­ge­bung. Neben vor­herr­schen­den Grün‑, Beige- und Grau­tö­nen bil­den grel­le Oran­ge-Rot-Akzen­te expres­si­ve Kon­tras­te. Der durch­schei­nen­de Farb­auf­trag und die ecki­ge, spit­ze Lini­en­füh­rung erin­nern an kubis­ti­sches For­men­vo­ka­bu­lar.
Der Gesamt­ein­druck des Gemäl­des ist u.a. durch den Ver­zicht von Raum und schmü­cken­dem Bei­werk herb und aske­tisch. In groß­ar­ti­ger psy­cho­lo­gi­sie­ren­der Wei­se wird die see­li­sche Befind­lich­keit, das Innen­le­ben der Dar­ge­stell­ten mit expres­si­ven Mit­teln zum Aus­druck gebracht.
Schie­le nähert sich auf künst­le­ri­sche Wei­se den wis­sen­schaft­li­chen Erkennt­nis­sen der Psy­cho­ana­ly­se von Sieg­mund Freud, der gleich­zei­tig in Wien begon­nen hat­te See­len­zu­stän­de zu erfor­schen.

E. Nowak-Thal­ler

#SpotlightOn: Egon Schiele, Doppelbildnis Heinrich

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