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Sedlacek Franz, Verkehr , 12. Februar 1912

Tusche auf Papier, 21x34cm (16,5x30,7cm), Schen­kung Frau Eli­sa­beth Lau­da-Sed­lacek, Wien

Das Self-Dri­ving-Sys­tem revo­lu­tio­nier­te das Ver­kehrs­sys­tem. Was 2004 mit der DAR­PA Grand Chal­len­ge begann – die For­schungs­ab­tei­lung des Pen­ta­gon schrieb auf der Suche nach einem Robo­ter-Auto einen Wett­be­werb aus –, wur­de 2022 zum Markt­pro­dukt. Neben Audi, BMW und Toyo­ta forsch­te auch Goog­le in sei­nem dama­li­gen Labor Goog­le X am Self-Dri­ving-Car – Audi und Goog­le, die damals auf Toyo­ta und Lexus setz­ten, schaff­ten es als Ers­te, Fahr­zeu­ge auf die Stra­ße zu brin­gen, die allei­ne fah­ren konn­ten. […] Auch im städ­ti­schen Ver­kehr waren die Unfäl­le dras­tisch zurück­ge­gan­gen, weil die Auto­her­stel­ler seit 2032 Self-Dri­ving ver­pflich­tend in ihre Model­le inte­grie­ren und die­se auch akti­vie­ren müs­sen. Basis die­ses inter­na­tio­na­len Geset­zes war die Tat­sa­che, dass 95 Pro­zent aller Unfäl­le auf mensch­li­ches Ver­sa­gen zurück­zu­füh­ren waren. Zu Unfäl­len kommt es 2114 meist nur in den Free-Zones, dort, wo das Ver­bot auf­ge­ho­ben wird.“ 1

Von der Zukunft in die Ver­gan­gen­heit: Franz Sed­lacek führt uns in sei­ner Tusche­zeich­nung zurück in das zwei­te Dez­en­ni­um des 20. Jahr­hun­derts. Es ist Mon­tag, der 12. Febru­ar 1912: Auf dem Lin­zer Tau­ben­markt geht es drun­ter und drü­ber. Tram­way, Pfer­de­kut­sche, Autos, Rad­fah­rer und Fuß­gän­ger rasen auf­ein­an­der zu, anein­an­der vor­bei. Eini­ge Men­schen haben es beson­ders eilig, die soeben abfah­ren­de Tram­way noch zu erwi­schen. Es flie­gen die Hüte. Ein Ver­kehrs­po­li­zist ver­sucht, das Cha­os auf dem Platz in den Griff zu bekom­men. Er befiehlt einer Pfer­de­kut­sche anzu­hal­ten. Fast wäre das nach­fol­gen­de Auto in den Pfer­de­wa­gen hin­ein­ge­kracht. Der Fahr­gast ver­leiht sei­ner Empö­rung leb­haft Aus­druck. Gleich­zei­tig löst sich ein Kof­fer vom Wagen und erschlägt bei­na­he jenen beleib­ten Herrn, der ver­sucht, zwei Hun­de ein­zu­fan­gen. Wel­cher Dame fehlt der Schuh, den der quir­li­ge Dackel gefolgt von sei­nem grö­ße­ren Art­ge­nos­sen soeben ent­führt hat?


Im Dezem­ber 1912 war Franz Sed­lacek in der Weih­nachts­aus­stel­lung des OÖ. Kunst­ver­eins mit sechs in Tusche gezeich­ne­ten Kari­ka­tu­ren ver­tre­ten. Vor­lie­gen­des Blatt war im Vor­feld zu die­ser Aus­stel­lung ent­stan­den. Sed­lacek nimmt dar­in das gestei­ger­te Ver­kehrs­auf­kom­men in sei­ner Hei­mat­stadt aufs Korn.

Der jun­ge Künst­ler stammt aus einer nach Linz über­sie­del­ten Fami­lie aus Preu­ßisch-Schle­si­en. Der Vater ist Zivil­in­ge­nieur, Franz das ältes­te von fünf Kin­dern. Wäh­rend sei­ner Schul­zeit fällt er wegen sei­nes aus­ge­spro­chen humo­ris­ti­schen Tem­pe­ra­ments“2 auf. Sein Leh­rer an der Lin­zer Real­schu­le, Fer­di­nand Karigl, hebt Sed­laceks Nei­gung zum Gro­tes­ken“3 hervor.

Wäh­rend er sich in sei­nem Früh­werk eher mit Zeich­nun­gen befasst, ver­legt sich der pro­mo­vier­te Che­mi­ker spä­ter – als Kus­tos am Tech­ni­schen Muse­um in Wien – auf meist klein­for­ma­ti­ge, fein abge­stimm­te Gemäl­de. Die gro­tes­ken, oft alb­traum­ar­ti­gen, dra­ma­ti­schen Dar­stel­lun­gen neh­men häu­fig sur­rea­lis­ti­sche Bild­mo­ti­ve vor­weg. Sed­laceks Œuvre ist gekenn­zeich­net von einer sti­lis­ti­schen Nähe zur Neu­en Sach­lich­keit und zum Magi­schen Rea­lis­mus.


Die Beschleu­ni­gung der Welt – ein Fort­schritt? Bereits im spä­ten 19. Jahr­hun­dert ver­zeich­ne­te man eine rapi­de Bevöl­ke­rungs­zu­nah­me in Linz, was sich auch in der Ver­kehrs­si­tua­ti­on in der k. u. k. Pro­vinz­stadt nie­der­schlug. Die Ein­füh­rung der Dampf­schiff­fahrt auf der Donau und der Bau der Eisen­bahn führ­ten zu einem gestei­ger­ten Ver­kehrs­auf­kom­men zwi­schen Donau und Bahn­hof, des­sen Haupt­last die Land­stra­ße zu tra­gen hat­te. Einer durch­ge­hen­den unge­stör­ten Ver­kehrs­ver­bin­dung stand aller­dings das unre­gu­lier­te Schmid­tor hem­mend ent­ge­gen.“4 Das mit­tel­al­ter­li­che Stadt­tor war zwar bereits 1828 abge­ris­sen wor­den. Eine sehr kurz­sich­ti­ge Stadt­pla­nung ließ den dar­auf­hin neu ange­leg­ten Durch­lass zwi­schen Haupt­platz und Tau­ben­markt jedoch viel zu eng aus­fal­len. Der Stadt­ver­kehr muss­te sich daher lan­ge Zeit durch die­ses Nadel­öhr quet­schen. Da es noch kei­ne Ampeln5 gab, dürf­te sich die Situa­ti­on auf dem Tau­ben­markt manch­mal recht zuge­spitzt haben.


Das Jahr 1912, in dem Sed­laceks Tusche­zeich­nung ent­stand, war auch welt­ge­schicht­lich recht inter­es­sant. Im April lief das größ­te Schiff der Welt vom Sta­pel: Die Tita­nicerreich­te bekann­ter­ma­ßen Ame­ri­ka aber nicht noch schnel­ler als ihr Vor­gän­ger, son­dern ver­sank bereits zwei Mona­te nach ihrer Indienst­stel­lung nach einer Kol­li­si­on mit einem Eis­berg süd­öst­lich von Neu­fund­land. Das Unglück der Tita­nic, das zwi­schen 1.490 und 1.517 Tote for­der­te, wur­de zu einem Syn­onym für die Unkon­trol­lier­bar­keit der Natur durch tech­ni­sche Errun­gen­schaf­ten“6.

100 Jah­re nach dem Unter­gang der Tita­nic, im Jän­ner 2012, kol­li­dier­te das größ­te ita­lie­ni­sche Kreuz­fahrt­schiff, die Cos­ta Con­cordia, mit einem Fel­sen vor der tos­ka­ni­schen Insel Giglio. Bei die­sem Schiffs­un­glück star­ben 32 Men­schen. Die Hava­rie der Cos­ta Con­cordia zeugt davon, dass die Fol­gen tech­ni­scher Gebre­chen oder mensch­li­chen Fehl­ver­hal­tens noch immer nicht zur Gän­ze aus­ge­schal­tet wer­den kön­nen, trotz ela­bo­rier­ter Steue­rungs- und Kon­troll­me­cha­nis­men und einer immer bes­se­ren glo­ba­len Ver­net­zung. Wird ein künf­ti­ges Self-Dri­ving-Sys­tem unser ein­zi­ger Aus­weg aus dem Dilem­ma sein?

Pro­ve­ni­enz

Die Zeich­nung kam als Teil einer groß­zü­gi­gen Schen­kung von Frau Eli­sa­beth Lau­da-Sed­lacek im Jahr 2000 in die Samm­lung des Lentos Kunst­mu­se­um Linz.

Bio­gra­fie

1891:

gebo­ren am 21. Jän­ner in Breslau

1897:

Über­sied­lung der Fami­lie nach Linz, Bezug einer Woh­nung in der Land­stra­ße 79 – 81
In der Mit­te des Schul­jah­res Ein­tritt Franz Sed­laceks in die Volks- und Übungs­schu­le der Leh­rer­bil­dungs­an­stalt in Linz

ab 1910:

nach der Matu­ra an der k. u. k. Staats- und Ober­re­al­schu­le in der Stein­gas­se im Jahr 1909 Stu­di­um der Archi­tek­tur an der Tech­ni­schen Hoch­schu­le in Wien

1911:

Wech­sel in die Fach­rich­tung Chemie

1912:

ers­te Aus­stel­lung im OÖ. Kunstverein

1913:

Grün­dung der Lin­zer Künst­ler­ver­ei­ni­gung MAERZ mit Franz und Kle­mens Brosch, Hans Pollak, Heinz Bitzan und Anton Lutz
Der pro­mo­vier­te Che­mi­ker war tags­über Kus­tos am Tech­ni­schen Muse­um in Wien und schuf nachts ein ein­drucks­vol­les Œuvre.

1916:

Artil­le­rie­be­ob­ach­ter an der Süd­front (Dolo­mi­ten) im Rang eines Ober­leut­nants der Reserve

1917:

Betei­li­gung an den Kämp­fen am Ison­zo als Front­of­fi­zier. Die an der Front ent­stan­de­nen Zeich­nun­gen wer­den im Sim­pli­cis­si­mus in Mün­chen veröffentlicht

1918:

Auschei­den as der Armee, Wie­der­auf­nah­me des Stu­di­ums in Wien

1920:

ers­te beruf­li­che Anstel­lung an der Ver­suchs­sta­ti­on und Braue­rei­aka­de­mie der Tech­ni­schen Hoch­schu­le Wien. Betei­li­gung an der 57. Aus­stel­lung der Wie­ner Secession

1921:

Erlan­gung des Dok­to­ra­tes der tech­ni­schen Wis­sen­schaf­ten. Antritt der Kus­to­den­stel­le am Tech­ni­schen Muse­um für Indus­trie und Gewer­be in Wien

1927:

Sed­lacek wird Mit­glied der Wie­ner Seces­si­on. Zahl­rei­che Ver­öf­fent­li­chun­gen in in- und aus­län­di­schen Zeitschriften

1929:

Gewinn der Gol­de­nen Medail­le für Male­rei auf der Inter­na­tio­na­len Aus­stel­lung in Bar­ce­lo­na. Gemein­sa­me Weih­nachts­aus­stel­lung Neu­ro­man­tik und Neue Sach­lich­keit in Ober­ös­ter­reich mit Her­bert Plober­ger und Paul Ikrath im OÖ. Lan­des­mu­se­um Linz

1930:

Betei­li­gung an einer Aus­stel­lung zeit­ge­nös­si­scher öster­rei­chi­scher Kunst im Muse­um of Modern Art New York

1933 und 1935:

Ver­lei­hung der Öster­rei­chi­schen Staatspreismedaille

1938:

Betei­li­gung an der Inter­na­tio­nal Exhi­bi­ti­on of Pain­tings in Pitts­burgh. Der Künst­ler wird Mit­glied der Genos­sen­schaft der bil­den­den Künst­ler in Wien, die die Wie­ner Seces­si­on übernahm

1939:

Kriegs­dienst an den Fron­ten in Sta­lin­grad, Nor­we­gen und Polen. Zahl­rei­che Ver­su­che des Tech­ni­schen Muse­ums, Sed­lacek vom Wehr­dienst zu beur­lau­ben, blei­ben erfolglos

1945:

seit Febru­ar gilt Sed­lacek in Polen oder Russ­land als ver­misst. Er wur­de im Jahr 1972 offi­zi­ell für tot erklärt

1991:

gro­ße Retro­spek­ti­ve im Tech­ni­schen Muse­um Wien

1995:

Neue Sach­lich­keit. Öster­reich 1918 – 1938, Kunst­fo­rum Bank Austria

2001/2002:

Aus­stel­lung im OÖ. Lan­des­mu­se­um, Linz

2005:

Franz Sed­lacek – Skiz­zen, Bil­der­ge­schich­ten und Lau­ten­lie­der, Nordico Stadt­mu­se­um Linz

2012/13:

Der Maler Franz Sed­lacek – Che­mi­ker der Phan­ta­sie,OÖ. Lan­des­ga­le­rie, Linz

Lite­ra­tur

Han­nes Androsch, Bern­hard Ecker, Man­fred Matz­ka (Hg.), 1814 – 1914 – 2014. 14 Ereig­nis­se, die die Welt ver­än­dert haben, Wien 2014.

Eli­sa­beth Hint­ner-Wein­lich, Der Maler und Gra­phi­ker Dr. Franz Sed­lacek (1891 – 1945), unpubl. Dis­ser­ta­ti­on, Inns­bruck 1987.

Fritz Mayr­ho­fer, Wil­li­bald Katz­in­ger, Geschich­te der Stadt Linz, Bd. 2: Von der Auf­klä­rung zur Gegen­wart, Linz 1990.

Gabrie­le Spind­ler, Andre­as Stroh­ham­mer, Franz Sed­lacek. 1891 – 1945, Linz 2011.

  1. Gerald Reischl, „17.8.2114. Fußball: Sieg der Cyborgs über die Menschen. Szenarien der Future Technologies“, in: Hannes Androsch, Bernhard Ecker, Manfred Matzka (Hg.), 1814 – 1914 – 2014. 14 Ereignisse, die die Welt verändert haben, Wien 2014, S. 209–222, hier S. 220.
  2. Elisabeth Hintner-Weinlich, Der Maler und Graphiker Dr. Franz Sedlacek (1891–1945), unpubl. Dissertation, Innsbruck 1987, S. 12.
  3. Ferdinand Karigl, „Maler Franz Sedlacek. Aus seinem Leben“, in: OÖ. Tageszeitung, Jg. 6, Nr. 332, 31.12.1929, S. 7.
  4. Fritz Mayrhofer, Willibald Katzinger, Geschichte der Stadt Linz, Bd. 2: Von der Aufklärung zur Gegenwart, Linz 1990, S. 139.
  5. http://www.haberjournal.at/de/osterreich/verkehrsampeln-100-jahre-alt-h675.html: Die erste österreichische Verkehrsampel wurde 1926 an der Wiener Opernkreuzung installiert. (abgerufen am 11.1.2015)
  6. http://de.wikipedia.org/wiki/RMS_Titanic (abgerufen am 11.1.2015)

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