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Gunter Damisch, Ohne Titel , 1983/84

Aqua­rell auf Papier

Als Gun­ter Damisch 1982 in der Wie­ner Gale­rie Ari­ad­ne aus­stell­te, hat­te er sein Stu­di­um noch nicht been­det. Die Ari­ad­ne“ hat­te sich schon in einer Zeit als För­de­rer der soge­nann­ten Neu­en Wil­den einen Namen gemacht, als sie des­we­gen eher belä­chelt als benei­det wur­de“.1


Unter den Neu­en Wil­den ver­stand man eine Stil­rich­tung der Male­rei, die im Unter­schied zu Mini­mal und Con­cept Art auf eine spon­tan-hef­ti­ge, farb­in­ten­si­ve, figu­ra­ti­ve Male­rei setz­te. Der Titel kam von einer Aus­stel­lung im Lud­wig-Forum Moder­ner Kunst in Aachen, wel­che die Ver­bin­dun­gen zwi­schen Fau­vis­mus, Expres­sio­nis­mus und der neu­en Male­rei her­zu­stel­len such­te.2 In Deutsch­land sind u. a. K. H. Hödi­cke, Bernd Kober­ling, Mar­kus Lüpertz, Rai­ner Fet­ting, Hel­mut Mid­den­dorf, Wal­ter Dahn, Jiri Doku­pil, Mar­tin Kip­pen­ber­ger, Wer­ner Bütt­ner sowie Albert und Mar­kus Oeh­len zu die­ser Kunst­rich­tung zu zäh­len. Öster­rei­chi­sche Ver­tre­ter sind Sieg­fried Anzin­ger, Erwin Bohatsch, Gun­ter Damisch, Bir­git Jür­gens­sen, Alfred Klinkan, Johan­na Kan­dl, Alo­is Mos­ba­cher, Tho­mas Rein­hold, Hubert Scheibl, Roman Scheidl, Johann Juli­an Tau­pe und Joha­nes Zechner.

Ent­spre­chend der Begleit­bro­schü­re zur Aus­stel­lung in der Gale­rie Ari­ad­ne stell­te Damisch 1982 eini­ge Ölbil­der, Zeich­nun­gen und Druck­gra­fi­ken aus. Der Kata­log beinhal­tet aber auch drei bemal­te Holz­skulp­tu­ren. Damisch dürf­te sich wäh­rend sei­nes Stu­di­ums inten­siv mit afri­ka­ni­schen Skulp­tu­ren, eth­no­lo­gi­schen Objek­ten und auch Pablo Picas­sos Wer­ken aus­ein­an­der­ge­setzt haben. Sei­ne frü­hen Objek­te bestan­den u. a. aus gefun­de­nem Mate­ri­al, das er bemal­te, und erin­nern etwa an Picas­sos Baden­de im New Yor­ker MoMA.


Die 1980er-Jah­re wer­den unter dem Begriff der Post­mo­der­ne sub­su­miert. Der Begriff, der ursprüng­lich aus der Lite­ra­tur stamm­te, wur­de um 1975 auf die Archi­tek­tur und spä­ter auch auf die Male­rei über­tra­gen. Post­mo­der­ne“ beschreibt einen geis­ti­gen Zustand nach dem Schei­tern der gro­ßen Uto­pien“.3 Wäh­rend die Avant­gar­de Tra­di­ti­ons­be­zü­ge ablehn­te, such­te die Post­mo­der­ne einen pro­duk­ti­ven Umgang mit der Geschich­te“.3Peter Baum, einer der ers­ten Muse­ums­di­rek­to­ren Öster­reichs, der die Neu­en Wil­den aus­stell­te, schrieb in sei­nem die­sem The­ma gewid­me­ten Buch: Der neue Künst­ler leug­net nicht die Quel­len sei­ner Erfah­rung […] er ver­steht es jedoch […] sich in sei­nem Umset­zungs­be­stre­ben weit­ge­hend von die­sen zu distan­zie­ren.“4Die Archa­ik, die Mys­te­ri­en der Urvöl­ker übten auf den 24-jäh­ri­gen Künst­ler einen gro­ßen Reiz aus. Eines sei­ner dama­li­gen Gemäl­de trägt den Titel Inein­an­der. Damisch ver­dich­tet dar­in die For­men zu einem mehr­schich­ti­gen Gan­zen. Augen­we­sen bevöl­kern das Bild, ein Gewirr von Lini­en herrscht vor. Die Kom­po­si­ti­on ist kom­plex. Afri­ka­ni­sche Mas­ken leuch­ten durch das Lini­en­geflecht, als hät­ten sich Picas­sos Demoi­sel­les d’Avignon im Urwald verirrt.


In der Betrach­tung des vor­lie­gen­den, unbe­ti­tel­ten Aqua­rells wer­den Lini­en mit­ein­an­der zu Figu­ren ver­bun­den. Anthro­po­mor­phe Wesen tau­chen aus dem bun­ten Dickicht her­vor. Gelb, Oran­ge, Rot, Rosa, Grün, Tür­kis und Blau leuch­ten aus dem Bild her­aus. Auf­fal­lend ist die gro­ße explo­si­ve Dyna­mik. Im Bild ist Bewe­gung, über­all rührt sich etwas.

In der Male­rei streb­te der Künst­ler in den 1980er-Jah­ren eine pas­to­se, dick ver­krus­te­te Aus­drucks­wei­se an. Die Mate­ria­li­tät des Farb­kör­pers wird sicht­bar. In der Gra­fik setz­te er auf Trans­pa­ren­zen und mehr­la­gi­ge Kom­po­si­tio­nen. Damisch kam zu der Erkennt­nis, dass bereits in sei­nen ers­ten gra­fi­schen Arbei­ten die cha­rak­te­ris­ti­schen Pole zwi­schen Linie, Flä­che und Raum, Abs­trak­ti­on und Gegen­ständ­lich­keit, Orga­ni­schem und Anor­ga­ni­schem steck­ten.5


Die 1980er-Jah­re waren von Kör­per­er­fah­rung und Kör­per­spra­che geprägt. Tanz, Pan­to­mi­me, Musik und Bewe­gung tra­ten in den Mit­tel­punkt der Gesell­schafts­kul­tur. Gun­ter Damisch wur­de Anfang des Jahr­zehnts Mit­glied einer Musik­band mit dem viel­sa­gen­den Namen Molto-Brutto“-Combo. Bei einem Kon­zert in Mün­chen hiel­ten sich die Band­mit­glie­der nicht an die Vor­ga­ben, Num­mern von der eige­nen Schall­plat­te zu repro­du­zie­ren, son­dern delek­tier­ten sich am Free Jazz.

Das eine beein­flusst das ande­re, und so wer­den Rhyth­mik und Tanz auch von den­je­ni­gen ein­ge­for­dert, die Damischs Kunst­wer­ke betrach­ten. Der Künst­ler erläu­tert dies wie folgt: Es ist eine schö­ne Vor­stel­lung, dass Male­rei so was wie die Mas­sa­ge der Ner­ven­zel­len sein kann, ein Anlass, im Sehen in die unsta­ti­sche Situa­ti­on zu kom­men, ein tanz­ar­ti­ges Wahr­neh­men von sich selbst als Wahr­neh­men­den.“6


In den 1990er-Jah­ren fand der Künst­ler zu einer neu­en Moti­vik, die ihn ab die­sem Zeit­punkt beglei­ten soll­te. Amö­ben, Urtier­chen und Ver­schlin­gun­gen präg­ten sei­ne groß­for­ma­ti­gen Lein­wän­de, Papier­blät­ter und Objek­te. Maß­geb­li­che Anre­gun­gen dazu kamen aus der Natur: Den Wür­mern und Schlan­gen, Schlin­gen und Lia­nen, Bächen und mäan­dern­den Flüs­sen, den Küs­ten­li­ni­en und Ufer­läu­fen, Rinn­sa­len und Wurm­fraß­lö­chern, den Spu­ren des Käfer­fra­ßes in Rin­den und den Aus­wa­schun­gen der Gewäs­ser sind die­se For­men geschul­det, den Bli­cken auf Phä­no­me­ne, die aus Teil und Bei­spiel wahr­ge­nom­men wei­ter­füh­ren zu Nächs­tem und Ähn­li­chem, Ver­wand­tem und Nahem.“7


Um die Mit­te der 1990er-Jah­re begann schließ­lich der Über­gang von der Bild­lich­keit zur Schrift­lich­keit im Œuvre Damischs. Der Künst­ler ent­wi­ckel­te einen Bil­der­kos­mos mit einem eige­nen Begriffs­vo­ka­bu­lar, in dem Wel­ten“, Ste­her“, Flämm­ler“ und Wege“ beson­ders häu­fig vorkamen.

Über die Kera­mik gelang­te Damisch sodann zur Bron­ze­skulp­tur, die Otto Breicha als sta­che­li­ge Model­le fürs Welt­gan­ze“8 bezeich­ne­te. Als Innen­or­te“9 wur­den sie zur Hei­mat von win­zi­gen Lebe­we­sen. Die Bron­ze­skulp­tu­ren ent­stan­den in dem gro­ßen Ate­lier des Künst­lers in Frey­degg bei Amstet­ten, einem ehe­ma­li­gen Wirt­schafts­ge­bäu­de eines Schlos­ses, erobern den Raum und ver­an­schau­li­chen das Davor und Dahin­ter im Sin­ne einer inten­si­ven Durch­drin­gung der Materie.


Damisch such­te in sei­ner Kunst den Gegen­ent­wurf zum abge­grenzt Enden­den, die Bereit­schaft und Not­wen­dig­keit etwas zu zei­gen, des­sen Kon­struk­ti­on über sein sicht­ba­res Feld hin­aus­geht und in sei­nen For­men auch die Bewe­gun­gen der im Außer­halb des Blick­fel­des gele­ge­nen Dyna­mi­ken und Wen­dun­gen ein­be­zieht“.10 Eher schon rück­bli­ckend als vor­aus­schau­end bemerk­te er im Jahr 2013 über sein künst­le­ri­sches Werk: Wie einen Kör­per habe ich in den letz­ten Jah­ren Grund­the­men mei­ner Arbeit noch­mals bear­bei­tet, poliert, umrun­det, sodass die­se The­men durch­aus abge­han­delt sein kön­nen. Die Wech­sel­wir­kung zwi­schen der ver­trau­ten Syn­tax und der intui­ti­ven Inter­pre­ta­ti­on hat mir dabei den Weg vor­ge­ge­ben. Gleich­zei­tig haben sich für mei­ne Arbei­ten auch neue Türen geöff­net.“11 Neue Türen geöff­net hat der Künst­ler durch sei­ne sin­gu­lä­re Posi­ti­on in der zeit­ge­nös­si­schen Kunst in Öster­reich. Als Pro­fes­sor für Druck­gra­fik wird er vie­len Stu­die­ren­den als wei­ser Leh­rer und gro­ßes Vor­bild in Erin­ne­rung bleiben.

Bio­gra­fie

1958:

geb. in Steyr

1977:

Matu­ra in Linz

1977 – 1983:

Aka­de­mie der bil­den­den Küns­te Wien, Meis­ter­klas­se Max Mel­cher und Arnulf Rai­ner. Diplom der Grafik

1980:

Grün­dung der Molto-Brutto“-Combo. Damisch spielt Bass und Orgel.

1982:

Aus­stel­lung in der Gale­rie Ari­ad­ne in Wien. 1983: Römerquelle-Kunstpreis

1983:

Betei­li­gung an der Aus­stel­lung Neue Male­rei in Öster­reich in der Neu­en Gale­rie der Stadt Linz

1985:

Otto-Mau­er-Preis, Max-Weiler-Preis

1991:

Karl-Rös­sing-Preis

1992:

Gast­pro­fes­sur an der Aka­de­mie der bil­den­den Küns­te Wien, Meis­ter­klas­se für Grafik

1995:

Preis der Stadt Wien

1996:

Anton-Faistau­er-Preis für Male­rei des Lan­des Salzburg

1997:

Ordent­li­che Pro­fes­sur an der Aka­de­mie der bil­den­den Küns­te, Wien

1998:

Preis der 2. Inter­na­tio­na­len Gra­phik­tri­en­na­le, Prag; OÖ. Lan­des­kul­tur­preis für Graphik

2011:

Wür­di­gungs­preis des Lan­des Niederösterreich

2013:

Aus­stel­lung MACRO MICRO in der Alber­ti­na, Wien

2014:

Aus­stel­lung Gun­ter Damisch im Reykja­vik Art Muse­um, Island

2015:

Aus­stel­lung Gun­ter Damisch. GRAF+ZYX im TANK​.203​.3040​.AT, Neulengbach

2016:

Aus­stel­lung Gun­ter Damisch. Auf Papier 1984 – 1994 in der Gale­rie Hil­ger, Wien

2016:

30. April: Tod des Künst­lers nach schwe­rer Krankheit

Pro­ve­ni­enz

Das unbe­ti­tel­te Aqua­rell ging im Dezem­ber 1984 als Stif­tung von Dr. Gert Humer in die Samm­lung des Muse­ums über.

Lite­ra­tur

Gun­ter Damisch. Ölbil­der, Zeich­nun­gen, Druck­gra­fik. Aus­stel­lungs­ka­ta­log, Gale­rie Ari­ad­ne, Wien 1982.

Peter Baum (Hg.), Neue Male­rei in Öster­reich, Aus­stel­lungs­ka­ta­log, Neue Gale­rie der Stadt Linz, Linz 1983.

Gun­ter Damisch. Aus­stel­lungs­ka­ta­log der Gale­rie bei der Alber­ti­na – Zet­ter. Wien 2008.

Gun­ter Damisch. Welt­weg­schlin­gen, Hohenems/​Wien 2009.

Gun­ter Damisch. MACRO. MICRO, Aus­stel­lungs­ka­ta­log, Alber­ti­na Wien, Wien 2013.

  1. Peter Baum, Neue Malerei in Österreich, Ausstellungskatalog, Neue Galerie der Stadt Linz, Linz 1983, S. 8.
  2. Prestel Lexikon. Kunst und Künstler im 20. Jahrhundert, unter Mitarbeit von Wieland Schmied, München u. a. 1999, S. 246.
  3. Ebd., S. 269.
  4. Baum 1983 (wie Anm. 1), S. 8.
  5. Vgl. Gunter Damisch im Interview mit Antonia Hörschelmann, in: Gunter Damisch. MACRO. MICRO. Ausstellungskatalog, Albertina Wien, Wien 2013, S. 72.
  6. Gunter Damisch im Gespräch mit Sabine B. Vogel, in: Gunter Damisch. Weltwegschlingen, Hohenems/Wien 2009, S. 13.
  7. Ebd., S. 20.
  8. Andrea Schuster, Das „entschiedene Sowohl-Als auch“ oder Die wundersamen „mikroskopischen oder kosmischen Gärten“ des Gunter Damisch. In: Gunter Damisch. Ausstellungskatalog der Galerie bei der Albertina – Zetter. Wien 2008, o. S.
  9. Ebd.
  10. Gunter Damisch im Gespräch mit Sabine B. Vogel, in: Gunter Damisch. Weltwegschlingen, Hohenems/Wien 2009, S. 20.
  11. Gunter Damisch im Interview mit Antonia Hörschelmann, in: Ausstellungskatalog Wien 2013 (wie Anm. 6), S. 79.

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