Kreidestifte und Bleistift auf Papier, 52 x 39 cm
Lentos Kunstmuseum, Inv. Nr. G 2‑S; Stiftung Prof. Paul und Grete Neurath, Wien, 2004
Die Zeichnung führt uns in einen verschneiten Winterwald. Durch das dichte Gehölz schlängelt sich Weg mit vereisten Fahrrinnen. Das Braun des Weges findet sich in zwei Baumstämmen wieder. Die Äste der ausladenden Nadelbäume schwingen dynamisch in mehrere Richtungen, wodurch Plastizität evoziert wird. Kontrastierende, besonders expressive, graue Striche charakterisieren den Schnee und die Eiseskälte des Winters.
Zunächst arbeitete Karl Schmidt-Roffluff, dessen Name sich von seinem Wohnort Rottluff in der Nähe von Chemnitz ableitet, an expressiven Landschaften im Nordseebad Dangast. Im Unterschied zu den meist noch tonal gebundenen Bildern seiner Künstlerfreunde geht Schmidt-Rottluff in der Kombination von leuchtenden Primärfarben am weitesten. Anregungen des Kubismus nimmt der deutsche Maler ab 1912 in Aktbildern und Häuseransichten auf sowie in den seit 1914 entstandenen Porträts und Genrebildern. Harte, kantige Formen prägen fortan auch seine Zeichnungen und Holzschnitte.
Das vorliegende Blatt ist 1923 entstanden. Schmidt-Rottluff unternimmt in diesem Jahr mit den Bildhauern Richard Scheibe und Georg Kolbe eine Reise nach Italien. Die verstärkte Hinwendung zur Objektkunst schlägt sich auch in den Zeichnungen nieder. Sie führt zu einer stärker plastischen Behandlung des Bildgegenstandes, was sich in unserer Zeichnung am besonders kräftigen Zeichenstrich der Bäume zeigt.
Die Zeichnung Wald wurde am linken und rechten unteren Rand datiert und signiert. Links unten scheinen die Initialen „K u. E“ auf: „K[arl] + E[my]“. Emy Frisch (1884−1975) stammte ebenfalls aus Chemnitz und wurde sehr früh mit den Gründungsmitgliedern der Brücke bekannt. Seit 1919 war sie mit Karl Schmidt-Rottluff verheiratet. Vermerke in der linken unteren Bildecke verweisen zudem auf eine Schenkung an die Hamburger Kunsthistorikerin Rosa Schapire (1874−1954). Vom Künstler freundschaftlich Ro genannt, wird Schapire bereits 1907 als passives Mitglied in der Künstlergruppe Brücke aufgenommen. Sie erstellt ein Werkverzeichnis der Arbeiten Schmidt-Rottluffs. Der Künstler wiederum fertigt Zeichnungen, Gemälde, Schmuckstücke, Möbel und Kleider für sie an. Wald erhielt sie als Weihnachtsgeschenk von ihm. 1911, 1915 und 1919 arbeitet Schmidt-Rottluff an Porträts Rosa Schapires. Der 1915 entstandene Holzschnitt Bildnis R. S. (Rosa Schapire) befindet sich ebenfalls seit 2004 in der Sammlung des Lentos Kunstmuseums.
Beide Zeichnungen sind Teil einer umfangreichen Schenkung des berühmten Soziologen Paul Martin Neurath (1911−2001) und seiner Frau Grete. Neurath gilt als einer der wichtigsten Vertreter der modernen empirischen Sozial- und Kommunikationsforschung. Er gründete das Lazarsfeld-Archiv an der Fakultät Soziologie und Politikwissenschaft der Universität Wien, das er bis zu seinem Tod im Jahr 2001 leitete. Seine früh verstorbene Mutter, die Schriftstellerin und Lyrikerin Anna Schapire-Neurath (1877−1911), war Rosa Schapires jüngere Schwester.
Zum Jahreswechsel 2022/23 haben wir für die Serie Zu schade für die Lade Karl Schmidt-Rottluffs Zeichnung Wald ausgewählt, weil sie im kommenden Jahr einen runden Geburtstag feiern wird. Wir möchten Ihnen damit ein frohes Weihnachtsfest und alles Gute für 2023 wünschen!
Provenienz
Die Zeichnung stammt aus dem Besitz von Paul Martin und Grete Neurath. Sie kam im April 2004 als Schenkung in den Bestand des Lentos Kunstmuseum.
Biografie
1884:
Karl Schmidt-Rottluff wird in Rottluff bei Chemnitz als Sohn eines Mühlenbesitzers geboren
1905-06:
Architekturstudium an der Technischen Hochschule Dresden, Mitbegründer der Künstlergruppe Brücke gemeinsam mit Ernst Ludwig Kirchner, Fritz Bleyl und Erich Heckel
1907-12:
Sommeraufenthalte in Dangast
1911:
Umzug nach Berlin; Beteiligung an der Sonderbund-Ausstellung in Köln
1913:
Auflösung der Brücke
1915 – 18:
als Armierungssoldat im Krieg in Litauen und Russland
1918 – 21:
Mitglied im Arbeitsrat für Kunst; Mitarbeiter der Zeitschrift Die Aktion
1932 – 43:
Sommer- und Herbstaufenthalte in Rumbke am Lebasee (poln. Łebsko)
1931 – 33:
Mitglied der Preußischen Akademie der Künste
1933:
Beschlagnahmung seiner Werke in deutschen Museen als Entartete Kunst
1943:
Umzug nach Rottluff
1946:
Rückkehr nach Berlin
1947 – 54:
Professor an der Hochschule für Bildende Künste
1976:
stirbt in Berlin
Verleger und Herausgeber: © Lentos Kunstmuseum Linz
Für den Inhalt verantwortlich: Brigitte Reutner-Doneus