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Klemens Brosch, Die Landschaft mit zwei kreisenden Adlern , 1922

Pin­sel in Tusche, laviert, 87,2 x 35 cm

Ich möch­te ger­ne die nächs­ten Aus­flü­ge mit 3 – 4stündiger Rast zum Zeich­nen ver­bin­den. Aller­dings ist es jetzt dazu etwas zu kalt. Auch nach Lich­ten­berg möch­te ich bald wie­der, womög­lich an einem düs­te­ren stür­mi­schen Tag, wie letzt­hin!
Stren­ge dei­nen phos­phor­sau­ren Kalk an, und viel­leicht fin­dest du irgend einen Aus­flugs­ort, der mei­ner düs­te­ren, roman­ti­schen Anla­ge im Geis­te Böck­lins u. Bet­ho­vens [sic!] (Kein Qua­li­täts­ver­gleich!) einen Schwung gibt.“ 1

Der Lin­zer Kle­mens Brosch war einer der talen­tier­tes­ten Zeich­ner Öster­reichs. Er wur­de nur 32 Jah­re alt. Von sei­nem Kriegs­ein­satz schwer gezeich­net, wand­te er sich ver­stärkt mys­ti­schen The­men zu. Die Land­schaft mit zwei krei­sen­den Adlern kün­det von einer Bedro­hung. Das extre­me Hoch­for­mat schil­dert, wie sich die Wol­ken am Him­mel bereits zusam­men­brau­en und ein Gewit­ter her­auf­zieht. Der Him­mel ver­fins­tert sich. Ein star­ker Wind setzt den Bäu­men hef­tig zu. Ihre bedroh­li­che Schräg­la­ge zeich­net sich als gespens­ti­scher Schlag­schat­ten auf der hoch auf­ra­gen­den Rui­nen­mau­er ab. Ein Mann hält sich an einem der Baum­stäm­me fest und blickt sor­gen­voll zu den krei­sen­den Vögeln nach oben. Die Bäu­me und die Rui­ne sind im Ver­gleich zur mensch­li­chen Gestalt über­di­men­sio­nal groß dar­ge­stellt. Sie wir­ken über­mäch­tig und las­sen die mensch­li­che Gestalt zur Staf­fa­ge verkommen.

Die mond­blei­che Rui­ne zeich­net sich kon­trast­reich gegen den dunk­len Hin­ter­grund ab. Glei­ßen­de Hel­lig­keit und abgrund­tie­fes Schwarz ste­hen sich über­gangs­los gegen­über. Die sich hin­ter der Rui­ne auf­tür­men­den Wol­ken­mas­sen schei­nen in Ver­än­de­rung zu sein. Wie ein dunk­ler Man­tel, ein undurch­dring­li­cher Nebel sind sie dabei, Rui­ne, Bäu­me und Mensch inner­halb kür­zes­ter Zeit völ­lig zu ver­ein­nah­men. So wird die­ses Bild zur Demons­tra­ti­on eines exis­ten­zi­el­len Kamp­fes, den der Mensch gegen die Natur aus­zu­fech­ten hat.


In Kle­mens Broschs gra­fi­schen Arbei­ten zei­gen sich vor allem Ein­flüs­se von Arnold Böck­lin, Max Klin­ger und Alfred Kubin. Brosch kann­te dar­über hin­aus japa­ni­sche Holz­schnit­te unter ande­rem von Hoku­sai und Hiro­shi­ge. Ins­be­son­de­re Böck­lins Gemäl­de Die Toten­in­sel (in ver­schie­de­nen Ver­sio­nen 1880 – 1886) scheint Brosch vor Augen gehabt zu haben, als er die Tusch­pin­sel­zeich­nung Die Land­schaft mit zwei krei­sen­den Adlern anfer­tig­te. Grell leuch­ten­de Akzen­te set­zen sich da wie dort gegen star­ke Dun­kel­wer­te ab, melan­cho­lisch auf­ra­gen­de Bäu­me ragen wie Fackeln in den Him­mel. Wäh­rend in Böck­lins Toten­in­sel eine ver­hüll­te Gestalt und ein Sarg in einem Nachen zur Insel gebracht wer­den, kämpft in Broschs Pin­sel­zeich­nung ein ein­zel­ner Mann gegen die hef­ti­gen Unbil­den des Wet­ters. Bei Brosch wird somit der exis­ten­zi­el­le Kampf des Men­schen gegen die Natur­ge­wal­ten zum Kern der Dar­stel­lung, wäh­rend Böck­lin den Über­gang ins Toten­reich in den Vor­der­grund rückt. Brosch ver­wen­det im Gegen­satz zu Böck­lin ein Hoch­for­mat, das den Kampf zwi­schen oben und unten – der klei­ne Mensch gegen die Über­macht der Natur – noch stär­ker fokus­siert und die auf­wüh­len­de The­ma­tik unterstreicht.


Broschs tech­ni­sche Meis­ter­schaft ist auf ein inten­si­ves Natur­stu­di­um zurück­zu­füh­ren. Bereits wäh­rend sei­ner Schul­zeit an der Lin­zer Real­schu­le soll er in einem Som­mer tau­send Skiz­zen gemacht haben, was eine Klas­sen­buch­ein­tra­gung sei­nes Zei­chen­leh­rers zur Fol­ge hat­te. Der talen­tier­te Zeich­ner konn­te sei­nen Fleiß aller­dings lücken­los bele­gen.2 Mit einem vor die Augen geschnall­ten Fern­glas saß er auf der Wie­se, um die sicht­ba­ren Phä­no­me­ne in fein linea­re, über­aus rea­lis­ti­sche Zeich­nun­gen umzu­set­zen. Als Brosch Die Land­schaft mit zwei krei­sen­den Adlern mal­te, war er 27 Jah­re alt und schon seit acht Jah­ren mor­phi­um- und koka­in­ab­hän­gig.3 Ein künst­le­ri­scher Stil­bruch, der ver­mut­lich in ers­ter Linie auf die psy­chi­schen und phy­si­schen Aus­wir­kun­gen des Dro­gen­miss­brauchs zurück­zu­füh­ren war, zeich­ne­te sich ab 1920 deut­lich ab. Ab die­sem Jahr las­sen sich eine ver­än­der­te Iko­no­gra­fie und Tech­nik fest­stel­len. Als Haupt­the­men führt die Brosch-Exper­tin Eli­sa­beth Nowak-Thal­ler die Berei­che die bedroh­te Mensch­heit, der ein­sa­me Mensch; Lebens­angst“4 an. Kle­mens Brosch hat nun kei­ne Zeit mehr für fein struk­tu­rier­te Zeich­nun­gen. Die rasch aus­zu­füh­ren­de Tusch­pin­sel­tech­nik kommt sei­nem gedräng­ten, gehetz­ten Lebens­rhyth­mus ent­ge­gen. Den­noch erreicht der Künst­ler eine Prä­zi­si­on im Strich, eine Dich­te im Aus­druck und eine Ästhe­tik in der Dar­stel­lung, die für sich spre­chen und eine anschau­li­che Kun­de von der Grö­ße sei­nes Talents geben können.


Broschs zeich­ne­ri­sches Œuvre umfasst meh­re­re Tau­send Blät­ter. Ein Groß­teil davon befin­det sich in den ober­ös­ter­rei­chi­schen Muse­en: im OÖ. Lan­des­mu­se­um, im Nordico Muse­um der Stadt Linz und im Lentos Kunst­mu­se­um Linz sowie in Privatbesitz.

Bio­gra­fie

1894:

wird am 21. Okto­ber als Sohn des Bür­ger­schul­di­rek­tors und Hei­mat­for­schers Franz Brosch in Linz geboren

1905 – 1908:

Besuch der Bür­ger­schu­le in Linz

1908 – 1910:

Besuch der Lin­zer Eisen­bahn­aka­de­mie. Brosch zeigt neben sei­ner bild­ne­ri­schen auch eine aus­ge­präg­te musi­ka­li­sche, lite­ra­ri­sche und mathe­ma­ti­sche Begabung

1910:

Besuch der Lin­zer Real­schu­le. Unter­nimmt zusam­men mit sei­nem Bru­der Franz als Mit­glied der Jugend­be­we­gung Wan­der­vo­gel etli­che aus­ge­dehn­te Wan­de­run­gen. Es ent­ste­hen zahl­rei­che Naturstudien

1912:

Fuß­wan­de­rung von Linz nach Nürn­berg. Ers­te Aus­stel­lun­gen im OÖ. Kunstverein

1913:

Matu­ra an der Lin­zer Real­schu­le. Mel­det sich als Ein­jäh­rig-Frei­wil­li­ger zum Mili­tär­dienst. Die ers­ten Anzei­chen einer lan­gen Krank­heit kün­di­gen sich an. Brosch grün­det gemein­sam mit sei­nem Bru­der Franz, Anton Lutz, Franz Sed­lacek, Hans Poll­ack und dem Kunst­ge­werb­ler Heinz Bitzan die Lin­zer Künst­ler­ver­ei­ni­gung MAERZ. Stu­di­um an der Aka­de­mie der bil­den­den Küns­te in Wien bei Rudolf Bacher

1914:

das pro­duk­tivs­te Jahr mit 160 erhal­te­nen Arbei­ten. Der Künst­ler arbei­tet mit gro­ßer tech­ni­scher Bril­lanz. Gemein­sam mit sei­nem Bru­der Wal­ter wird er als Gefrei­ter zum Lan­des­in­fan­te­rie­re­gi­ment Nr. 2 ein­ge­zo­gen. Ein­satz als zeich­nen­der Kriegs­be­richt­erstat­ter in Gali­zi­en. Er erkrankt nach weni­gen Tagen an der Front und wird von Mili­tär­spi­tal zu Mili­tär­spi­tal geschickt. Unter dem Ein­druck der Kriegs­gräu­el Beginn der Opi­um- und Kokainsucht.

1915:

bricht vor einer Unter­su­chungs­kom­mis­si­on ohn­mäch­tig zusam­men und wird end­gül­tig aus dem Kriegs­dienst ent­las­sen. Par­al­lel zu ver­stärk­ten Pro­ble­men mit dem Lun­gen­lei­den Beginn der Morphiumsucht

1915 – 1916:

setzt sein Stu­di­um an der Wie­ner Aka­de­mie der bil­den­den Küns­te bei Fer­di­nand Schmut­zer fort. Zwei­te Aus­stel­lung der Künst­ler­grup­pe MAERZ in Linz. Der erst 21-jäh­ri­ge Künst­ler gewinnt in unun­ter­bro­che­ner Fol­ge alle höchs­ten Aus­zeich­nun­gen der gra­fi­schen Klas­se an der Akademie

1916:

zeigt in der 3. Aus­stel­lung der Ver­ei­ni­gung MAERZ 140 Blätter

1917:

schei­det aus der Künst­ler­ver­ei­ni­gung MAERZ aus. Er wid­met sich ver­stärkt druck­gra­fi­schen Arbeiten

1917 – 1918:

letz­tes Stu­di­en­jahr an der Wie­ner Aka­de­mie bei Fer­di­nand Schmutzer

1919:

Grün­dung der Künst­ler­ver­ei­ni­gung Der Ring. Zahl­rei­che Exli­bris und Not­geld­ent­wür­fe für eine gan­ze Rei­he ober­ös­ter­rei­chi­scher Gemein­den entstehen

1920:

Ver­ehe­li­chung mit Johan­na Springer

1920 – 1924:

Künst­le­ri­scher Stil­bruch, der aus den Hal­lu­zi­na­tio­nen im Dro­gen­rausch ent­steht: Brosch erblickt neue Wel­ten, erlebt beklem­men­de Fan­ta­sien, Todes- und Unter­gangs­vi­sio­nen. Er ver­wen­det nun aus­schließ­lich die Tuschpinseltechnik

1924:

Ent­wöh­nungs­kur in der Heil­an­stalt Nie­dern­hart in Linz. Danach Arbeit im Dienst der Ober­ös­ter­rei­chi­schen Kraft­wer­ke, Tätig­keit im Kraft­werk Partenstein

1925:

Brosch wird rück­fäl­lig. Erneu­ter zwei­mo­na­ti­ger Entziehungsaufenthalt

1926:

Kol­lek­tiv­aus­stel­lung im Länd­ler­saal, Pro­me­na­de Linz

1926:

Brosch nimmt sich mit­tels einer chlo­ro­form­ge­füll­ten Gas­mas­ke auf dem Pöst­ling­berg­fried­hof Linz das Leben

1954:

Gedächt­nis­aus­stel­lung im Ober­ös­ter­rei­chi­schen Landesmuseum

1979:

Aus­stel­lung in der Gale­rie im Taxis­pa­lais, Innsbruck

1980 – 1981:

Aus­stel­lung in der Kärnt­ner Lan­des­ga­le­rie, Kla­gen­furt und im Kul­tur­amt Bregenz

1982:

Aus­stel­lun­gen im Kul­tur­haus Graz und in der Neu­en Gale­rie der Stadt Linz – Wolf­gang Gur­litt Muse­um (heu­te: Lentos Kunst­mu­se­um Linz)

Pro­ve­ni­enz

Die Tusch­pin­sel­zeich­nung Die Land­schaft mit zwei krei­sen­den Adlern wur­de 1988 aus Lin­zer Pri­vat­be­sitz erworben.

Ver­wen­de­te Literatur

Aus­ge­lie­fert. Bei­spie­le öster­rei­chi­scher Gra­phik der Zwi­schen­kriegs­zeit nahe der Phan­tas­tik. Kle­mens Brosch, Carl Anton Rei­chel, Franz Sed­lacek, Aloys Wach, Aus­stel­lungs­ka­ta­log, OÖ. Lan­des­ga­le­rie am OÖ. Lan­des­mu­se­um, Linz 1997.

Eli­sa­beth Nowak-Thal­ler, Kle­mens Brosch 1894 – 1926, Kla­gen­furt 1991.

Peter Baum, Kle­mens Brosch, Carl Anton Rei­chel, Aloys Wach,Aus­stel­lungs­ka­ta­log, Neue Gale­rie der Stadt Linz – Wolf­gang Gur­litt Muse­um in Zusam­men­ar­beit mit dem OÖ. Lan­des­mu­se­um, dem Stadt­mu­se­um Linz und dem Bezirks­mu­se­um Brau­nau, Linz 1982.

  1. Zitat aus einem Brief Klemens Broschs vom 4. November 1919 an Dr. Otto Gerstl, Quelle: OÖ. Landesmuseum, Autographische Sammlung, zitiert nach: Elisabeth Nowak-Thaller, Klemens Brosch 1894–1926, Klagenfurt 1991, S. 158. Klemens Brosch war mit dem Linzer Juristen und Kunstsammler Otto Gerstl (1893–1974) befreundet, wovon ein reger Briefwechsel kündet. Brosch fertigte für seinen Freund sogar ein Exlibris an.
  2. Vgl. Wilfried Kirschl, „Der Zeichner Klemens Brosch“, in: Peter Baum, Klemens Brosch, Carl Anton Reichel, Aloys Wach, Ausstellungskatalog, Neue Galerie der Stadt Linz – Wolfgang Gurlitt Museum in Zusammenarbeit mit dem OÖ. Landesmuseum, dem Stadtmuseum Linz und dem Bezirksmuseum Braunau, Linz 1982, S. 13–14, hier S. 13.
  3. Klemens Brosch erhielt erstmals 1914 Morphium von einem Militärarzt, der damit Herzklopfen, Ohnmachtsanfälle und Schwächezustände seines Patienten behandeln wollte. Brosch: „Ich habe anno 1914 Morphium genommen. Dies wird Dir manches erklären“, OÖ. Landesmuseum, Autographische Sammlung, zitiert nach Nowak-Thaller 1991, S. 153.
  4. ebd., S. 154.

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