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Ottilie Kasper, Selbstbildnis , o. D. (vor 1947)

Koh­le auf Papier, Spritztechnik

  • Ottilie Kasper, Selbstbildnis, o. D. (vor 1947)
  • Ausstellungsansicht die schöpferische Frau, 1947

Die Zeich­nung zeigt eine Kopf­stu­die der Künst­le­rin Otti­lie Kas­per in Drei­vier­tel­an­sicht. Die jun­ge Frau blickt schräg seit­lich an den Betrach­ten­den vor­bei. Das kur­ze Haar trägt sie streng zurück­ge­kämmt. Die Gesichts­zü­ge sind mit brei­ten Koh­le­stri­chen model­liert. In Spritz­tech­nik auf­ge­tra­ge­ne schwar­ze Farb­punk­te ver­lei­hen der sen­si­blen Stu­die plas­ti­sche Wer­te. Das Selbst­bild­nis ent­stand ver­mut­lich als Vor­zeich­nung zu einem Gemäl­de. Es zeigt eine inten­si­ve psy­cho­lo­gi­sche Durch­drin­gung und lässt auf eine ein­ge­hen­de Selbst­er­for­schung schließen.

Ange­regt von der ita­lie­ni­schen Renais­sance­ma­le­rei Pie­ro de la Fran­ce­s­cas befass­te sich Otti­lie Kas­per inten­siv mit dem Por­trä­tie­ren. Dem Kunst­his­to­ri­ker Diet­her Schmidt zufol­ge tref­fen ihre Zeich­nun­gen von Kin­dern und Mäd­chen aus den in Öster­reich ver­brach­ten Nach­kriegs­jah­ren mit­ten ins Herz […]. Aus allem Ernst strahlt auch unver­stör­te Hoff­nung auf den Fort­gang des Lebens aus allen Zer­stö­run­gen. Ver­trau­en und Mut sind nicht auf­ge­setzt als Äußer­lich­kei­ten. Sie kom­men aus Odis bestän­di­gem Wesen, das sie aber immer erneut stärkt durch Lesen und Betrach­ten klas­si­scher Kunst.“1 Otti­lie Kas­pers Inter­es­se an der mensch­li­chen Gestalt resul­tiert aus der inten­si­ven Aus­ein­an­der­set­zung mit Skulp­tu­ren der grie­chi­schen und römi­schen Klas­sik, die sie wäh­rend der aus­ge­dehn­ten Stu­di­en­rei­sen an der Sei­te ihres Ehe­man­nes, des Bild­hau­ers Lud­wig Kas­per, kennenlernte.


Die deut­sche Kunst­his­to­ri­ke­rin Ingrid von der Dol­len führt in ihrem Werk Male­rin­nen im 20. Jahr­hun­dert. Bild­kunst der ver­schol­le­nen Genera­ti­on“ auch Otti­lie Kas­per an. Von der Dol­len stellt fest, dass die bis­lang kol­por­tier­te Ansicht, Künst­le­rin­nen der Geburts­jahr­gän­ge zwi­schen 1890 und 1910 hät­ten sich in ers­ter Linie mit Still­le­ben oder Land­schaft befasst, nicht kor­rekt ist. Auch Blu­men­ma­le­rin­nen kamen in die­sen Jahr­gän­gen kaum vor. Die Selbst­be­fra­gung war hin­ge­gen ein gän­gi­ges The­ma. Von der Dol­len sieht Men­schen­dar­stel­lun­gen sogar als Haupt­the­ma der Male­rin­nen die­ser­Ge­nera­ti­on, sofern sie im figu­ra­ti­ven Bereich blie­ben“2.


Unter dem Titel Die schöp­fe­ri­sche Frau betei­lig­te sich Otti­lie Kas­per neben Mar­gret Bil­ger, Vil­ma Eckl, Käthe Koll­witz und Cla­ra Sie­wert im August 1947 an einer Aus­stel­lung in der Neu­en Gale­rie der Stadt Linz. Das neu gegrün­de­te Muse­um wur­de von dem ehe­ma­li­gen Ber­li­ner Gale­ris­ten Wolf­gang Gur­litt gelei­tet und war die Vor­gän­ger­in­sti­tu­ti­on des Lentos Kunst­mu­se­um Linz. Auch die hier vor­lie­gen­de Zeich­nung war in der Aus­stel­lung zu sehen.


Wie schwer es damals Künst­ler­gat­tin­nen hat­ten, als auto­no­me Künst­le­rin­nen aner­kannt zu wer­den, illus­triert der Text­bei­trag im Aus­stel­lungs­ka­ta­log, wo es heißt: Es ist ganz offen­bar, daß die Kunst der Otti­lie Kas­per in for­ma­ler Hin­sicht im Schat­ten des Wir­kens ihres Man­nes, des Bild­hau­ers, steht. Die glei­che zäh­flüs­si­ge Monu­men­ta­li­tät der Lini­en­füh­rung, die glei­che, so stark an Archai­sches erin­nern­de Gebun­den­heit der Hal­tung, die glei­che Ten­denz zur Ver­dich­tung der Ober­flä­che bis zum völ­li­gen Ver­lust an Trans­pa­renz kenn­zeich­nen auch ihre Arbei­ten.“3


Otti­lie Kas­per zeich­ne­te das hier bespro­che­ne Selbst­bild­nis, als wür­de sie die Lini­en aus einem har­ten Mate­ri­al her­aus­krat­zen. Man erkennt einen Blick für Volu­mi­na, der aus einer inten­si­ven Beschäf­ti­gung mit der Bild­haue­rei resul­tiert. Nach der Hei­rat mit dem öster­rei­chi­schen Bild­hau­er Lud­wig Kas­per wich die eben­falls als Bild­haue­rin aus­ge­bil­de­te Künst­le­rin aller­dings unter dem Ein­fluß der star­ken Künst­ler­per­sön­lich­keit ihres Man­nes“4 auf die Male­rei aus.


Die Freun­din Maria Blu­men­thal lob­te Otti­lie Kas­pers Teil­nah­me an einer Aus­stel­lung im Mai 1947. Im fol­gen­den Aus­schnitt aus einem Brief Blu­menthals erfährt man zwi­schen den Zei­len viel über die Ent­sa­gun­gen Otti­lie Kas­pers an der Sei­te ihres Man­nes: Du hast aus­ge­stellt. Ich freue mich unbe­schreib­lich dar­über. – Und hast auch Arbei­ten ver­kauft. Wie wird Dich das hof­fent­lich ermu­ti­gen zu arbei­ten, an Dei­ne Bega­bung und Kraft zu glau­ben und sie end­lich zur Ent­fal­tung zu brin­gen.“5


Der Bild­hau­er Lud­wig Kas­per, 1893 im ober­ös­ter­rei­chi­schen Gur­ten gebo­ren, ver­starb ganz plötz­lich am 28. August 1945 in Brau­nau an einem Nie­ren­lei­den. Nach der Unter­brin­gung des Nach­las­ses ihres Man­nes im OÖ. Lan­des­mu­se­um ver­ließ Otti­lie Kas­per im Jahr 1952 Öster­reich für immer. Sie bezog ein neu errich­te­tes Ate­lier­haus in Gau­ting bei Mün­chen und leb­te von einer klei­nen Leib­ren­te, die ihr das OÖ. Lan­des­mu­se­um bezahl­te. Ihre neue Blei­be am Stadt­rand der baye­ri­schen Metro­po­le wur­de zu einem Treff­punkt von Freun­den und Künstlern.


Auch nach dem Tod ihres Man­nes kehr­te Otti­lie nicht mehr zu ihrer ursprüng­li­chen künst­le­ri­schen Aus­rich­tung, der Bild­haue­rei, zurück. Die Figu­ra­ti­on blieb auch in vor­ge­rück­ten Jah­ren Kas­pers wich­tigs­tes Gen­re. Odi über­leb­te ihren Mann um 64 Jah­re. Sie zeich­ne­te oder mal­te Men­schen aus ihrer unmit­tel­ba­ren Umge­bung, Ver­wand­te, Freun­de und nicht zuletzt bis ins hohe Alter sich selbst. Sig­rid Braun­fels, Kunst­his­to­ri­ke­rin und Freun­din Otti­lie Kas­pers, schrieb anläss­lich des 100. Geburts­tags der Künst­le­rin: Lie­be Odi, male Dich wei­ter in den Him­mel hin­ein!“6

Pro­ve­ni­enz

Die Koh­le­zeich­nung wur­de von Wolf­gang Gur­litt, dem Grün­der der Neu­en Gale­rie der Stadt Linz, der Vor­gän­ger­in­sti­tu­ti­on des Lentos Kunst­mu­se­um Linz, im Dezem­ber 1947 in den Bestand der Samm­lung eingebracht.

Bio­gra­fie

1905:

gebo­ren am 14. Okto­ber 1905 in Berna/​Schlesien als Otti­lie Wolf

1926 – 1928:

Kunst­ge­wer­be­schu­le Mün­chen. Begeg­nung mit dem Bild­hau­er Lud­wig Kasper

1928 – 1929:

Auf­ent­halt in Paris gemein­sam mit Lud­wig Kas­per. Otti­lie befasst sich ver­mehrt mit Malerei

1930:

Hoch­zeit mit Lud­wig Kasper

1930 – 1933:

Auf­ent­halt am väter­li­chen Gut im schle­si­schen Berna

ab 1933:

in Ber­lin, Ate­lier­ge­mein­schaft Klos­ter­stra­ße. Freund­schaft mit Käthe Koll­witz und dem Kunst­his­to­ri­ker Wer­ner Haftmann

1936 – 1937:

Stu­di­en­auf­ent­halt in Grie­chen­land mit Lud­wig Kasper

1940:

Auf­ent­halt in Rom mit Lud­wig Kasper

1943:

Umzug nach Braun­schweig, wo Lud­wig Kas­per einen Lehr­auf­trag an der Werk­kunst­schu­le erhält. Nach der Zer­stö­rung von Woh­nung und Ate­lier Über­sied­lung nach Mau­er­kir­chen in Oberösterreich

1945:

Lud­wig Kas­per stirbt über­ra­schend am 28. August 1945 in Brau­nau an einem Nierenleiden

1947:

Betei­li­gung an der Aus­stel­lung Die schöp­fe­ri­sche Frau. Mar­gret Bil­ger, Vil­ma Eckl, Otti­lie Kas­per, Käthe Koll­witz, Cla­ra Sie­wert in der Neu­en Gale­rie der Stadt Linz

1952:

Über­sied­lung in ein neu­es Haus in der Künst­ler­ko­lo­nie Gau­ting bei München

1955:

Kunst­rei­se mit dem Motor­rad durch Ita­li­en (6 Monate)

1959:

Stu­di­en­auf­ent­halt in Flo­renz (2 Jahre)

1964:

Stu­di­en­auf­ent­halt in Capri (2 Jah­re) bei der dort ansäs­si­gen Schwester

ab 1966:

wie­der­hol­te Rei­sen und wei­te­re lang­jäh­ri­ge Auf­ent­hal­te in Ita­li­en und Griechenland

2009:

gestor­ben am 30. April

Lite­ra­tur

Ingrid van der Dol­len, Male­rin­nen im 20. Jahr­hun­dert. Bild­kunst der ver­schol­le­nen Genera­ti­on“, Mün­chen 2000.

Otti­lie Kas­per. Men­schen­bil­der, hg. v. Ernst-Riet­schel-Kul­tur­ring e. V., Puls­nitz 2005.

  1. Diether Schmidt, „Lebensspuren eines ganzen Jahrhunderts“, in: Ottilie Kasper. Menschenbilder, hg. v. Ernst-Rietschel-Kulturring e. V., Pulsnitz 2005, S. 20–21, hier S. 20.
  2. Ingrid von der Dollen, Malerinnen im 20. Jahrhundert. Bildkunst der „verschollenen Generation“, München 2000, S. 196.
  3. O. A.: „Ottilie Kasper“, in: Die schöpferische Frau. Margret Bilger, Vilma Eckl, Ottilie Kasper, Käthe Kollwitz, Clara Siewert, Ausstellungskatalog, Neue Galerie der Stadt Linz, Linz 1947, S. 10.
  4. Von der Dollen 2000, S. 321.
  5. Gudrun Schmidt, „Ateliergemeinschaft Klosterstraße“, in: Ottilie Kasper. Menschenbilder, 2005, S. 11–15, hier S. 15.
  6. Sigrid Braunfels, „Brief an Odi“, in: Ottilie Kasper. Menschenbilder, 2005, S. 40–42, hier S. 42.

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