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Chkoutova Sevda, Christine Pils , 2012

Gra­fit­stift und Farb­stift auf Papier

In Chkou­to­vas groß­for­ma­ti­ger Zeich­nung ste­hen zwei Män­ner hin­ter einer sit­zen­den Per­son. Die männ­li­chen Prot­ago­nis­ten tra­gen ledig­lich Unter­wä­sche und Schu­he. Der eine ver­steckt sein Haar unter einer Damen­pe­rü­cke, der ande­re schmückt sich mit einem mäch­ti­gen Tat­too und trägt wei­ße Stut­zen. Die sit­zen­de Per­son prä­sen­tiert sich mit einem Män­ner­hut und Damen­schu­hen. Die acces­soire­ar­ti­gen Klei­dungs­stü­cke wir­ken bei allen drei Figu­ren wie Theaterrequisiten.

Der ein­zi­ge far­bi­ge Akzent der Zeich­nung ist ein gemus­ter­tes Tuch, das über den Ses­sel gelegt wur­de. Durch ihre Kör­per­hal­tung erobert die sit­zen­de Per­son den Raum in der Kom­po­si­ti­ons­form einer Pyra­mi­de, wäh­rend die bei­den sie flan­kie­ren­den Figu­ren eher flä­chen­pro­jek­tiv gese­hen wer­den. Die Figur auf dem Ses­sel erlangt dadurch beson­ders viel visu­el­les Gewicht. Die Sitz­ge­le­gen­heit wird zu ihrer Wür­de­form, die sie beson­ders heraushebt.

Die Sze­ne­rie wird stark unter­sich­tig gezeigt. Das star­ke Licht, das die drei Prot­ago­nis­ten anstrahlt, erweckt den Ein­druck einer Insze­nie­rung. Mit Hell-Dun­kel-Nuan­cen setzt die Künst­le­rin span­nungs­vol­le Akzen­te, mit denen sie uns in leb­haf­tem Rhyth­mus durch das Bild führt. Licht und Schat­ten erge­ben ein linea­res Gebil­de auf den Wän­den und dem Boden, das sei­ner­seits for­mal mit der an eine Wand gepinn­ten Zeich­nung mit der Auf­schrift Chris­ti­ne Pils“ korreliert.

Wer ist Chris­ti­ne Pils?

Das Rät­sel löst sich, wenn wir uns den Kör­per­bau der drei Per­so­nen genau­er anse­hen. Inter­es­sant ist auch die Mimik der drei Gestal­ten: Wäh­rend die Frau im Bild im wahrs­ten Sin­ne des Wor­tes her­risch drein­schaut, wirkt der links ste­hen­de Prot­ago­nist recht freund­lich, aber etwas unsi­cher, wäh­rend der ande­re Mann zu Boden blickt. Die Hut­trä­ge­rin hat das Sagen, wie ihr Blick unschwer erken­nen lässt. Wäh­rend die männ­li­chen Dar­stel­ler unter­wür­fig wir­ken, schlüpft die posie­ren­de Frau über­aus selbst­be­wusst in den Habi­tus eines mit allen Was­sern gewa­sche­nen Machos.

In der mit Chris­ti­ne Pils beti­tel­ten Zeich­nung wer­den männ­li­che und weib­li­che Rol­len­bil­der bewusst ver­tauscht und iro­nisch über­zeich­net. Chkou­to­va befasst sich mit männ­li­chen und weib­li­chen Kon­no­ta­tio­nen, wie sie in der Gen­der­for­schung the­ma­ti­siert wer­den. Die­se femi­nis­ti­sche Dis­zi­plin unter­schei­det das natür­li­che Geschlecht, eng­lisch sex, von gen­der, der Geschlech­ter­wahr­neh­mung als sozia­lem Kon­strukt. Die Gen­der­for­schung moniert, dass Bezie­hun­gen zwi­schen Macht und Sexua­li­tät tra­di­tio­nell zu Benach­tei­li­gun­gen von Frau­en füh­ren. Man soll­te sich bewusst sein, dass in der Reprä­sen­ta­ti­on geschlech­ter­spe­zi­fi­scher The­men die Gefahr besteht, die Dis­kri­mi­nie­rung durch ihre Sicht­bar­ma­chung erst recht im kol­lek­ti­ven Gedächt­nis zu ver­an­kern, warnt die Kunst­his­to­ri­ke­rin Ilka Becker.1 Als eine wirk­sa­me Stra­te­gie gegen die Aus­gren­zung von Frau­en in der Gesell­schaft führt sie daher die Umdeu­tung von Bild-Sein“ zu Im-Bild-Sein“ an. Becker bezeich­net die­se Tak­tik als eine Pra­xis der Kon­struk­ti­on und Sicht­bar­ma­chung […] weib­li­cher Blick­trä­ger“2. In Chris­ti­ne Pils wur­de das Im-Bild-Sein“ erfolg­reich ange­wen­det: Die Frau erscheint als Aus­drucks­trä­ge­rin einer gen­der­kri­ti­schen Aus­sa­ge. Die iro­ni­sche Über­hö­hung der Dar­stel­lung streicht die Kri­tik an einem real bestehen­den unge­rech­ten sozia­len Macht­ge­fü­ge beson­ders augen­fäl­lig heraus.


Die Gen­der­de­bat­te hat in Öster­reich erst jüngst wie­der an Bri­sanz gewon­nen, als sich meh­re­re femi­nis­ti­sche Wis­sen­schaft­le­rin­nen der Uni­ver­si­tät Wien beschwer­ten, dass in ihrer Dis­zi­plin jedes müh­sam erkämpf­te Ter­rain nur schwer zu ver­tei­di­gen sei: Lehr­stüh­le, die aus­lau­fen, wür­den nicht mehr nach­be­setzt. Als Bei­spie­le dafür führt Bir­git Sau­er, Pro­fes­so­rin für Poli­tik­wis­sen­schaft an der Uni­ver­si­tät Wien, die femi­nis­ti­sche Pro­fes­sur an der phi­lo­so­phi­schen Fakul­tät oder die Pro­fes­sur für Gen­der Stu­dies an.2 In Öster­reich gehe das zuneh­men­de Gen­der-Bashing3vor allem von der Rech­ten und der Väter­recht­be­we­gung“4 aus, pro­kla­miert Sau­er. Auch an der Wie­ner Wirt­schafts­uni­ver­si­tät kämpft das Insti­tut für hete­ro­do­xe Öko­no­mie seit Jah­ren mit Ein­spa­rungs­maß­nah­men und Lehr­plan­um­stel­lun­gen. Katha­ri­na Mader, wis­sen­schaft­li­che Mit­ar­bei­te­rin am Insti­tut, meint zur pre­kä­ren Lage der femi­nis­ti­schen Wis­sen­schaft: Femi­nis­ti­sche Lehr­stüh­le set­zen sich expli­zit mit Macht­ver­hält­nis­sen aus­ein­an­der. Das mögen jene, die von der der­zei­ti­gen Macht­ver­tei­lung pro­fi­tie­ren, weni­ger.“5

Wer ist Chris­ti­ne Pils wirklich?

Im wirk­li­chen Leben ist Chris­ti­ne Pils, eine gebür­ti­ge Ober­ös­ter­rei­che­rin, genau­so alt wie die Künst­le­rin selbst. Sie beleg­te 1998 einen Lehr­gang für Thea­ter­kos­tüm an der Herbst­stra­ße in Wien. Die frei­schaf­fen­de Desi­gne­rin stu­dier­te Archi­tek­tur an der TU Wien. Die bei­den dar­ge­stell­ten Män­ner stam­men aus dem Freun­des­kreis der Hauptprotagonistin.

Pro­ve­ni­enz

Die Zeich­nung wur­de 2013 mit Mit­teln aus der Gale­ri­en­för­de­rung des Bun­des erwor­ben.

Bio­gra­fie

1978:

gebo­ren in Sofia, Bulgarien

1996:

Abschluss des Gym­na­si­ums für ange­wand­te Kunst in Sofia

1998 – 2002:

Stu­di­um der Male­rei und Gra­fik an der Aka­de­mie der bil­den­den Küns­te in Wien (Prof. Sue Wil­liams, Muntean/​Rosenblum)

2000:

Aus­stel­lung in der Gale­rie 11, Sofia

2002:

Sweet Har­mo­ny, Gale­rie Cho­bot, Wien

2004:

Land­s­capes, Gale­rie Cho­bot, Wien (gemein­sam mit Chris­toph Buchegger)

2004:

Zeich­nun­gen,Gale­rie am Groß­neu­markt Mar­gret Kru­se, Hamburg

2004 – 2005:

Auf­ent­halt in Chicago

2005:

Aus­stel­lung in der Gale­rie Grif­fin, Chicago

2006:

Nackt,STRA­BAG Kunst­fo­rum, Wien; Child’s Play, Gale­rie Cho­bot, Wien

2007:

Vienna­fair, Gale­rie Cho­bot, Wien

2008:

ver­blüht, Gale­rie Cho­bot, Wien

2009:

Weibs­bil­der, Gale­rie Art House, Dorn­birn; Rin­gel­spiel, Sei­fen­fa­brik Lau­ter­bach (mit Ste­fan Waibel)

2010:

24 h, Gale­rie Cho­bot, Wien; Chel­sea Gale­rie, Laufen/​Schweiz; Pro­jekt­raum M54, Basel

2011:

24 h II, Pro­jekt­raum Vik­tor Bucher, Wien;When the milk comes, Lite­ra­tur­haus Salzburg

2012:

Gelit­ten hat mei­ne Mut­ter,Jesui­ten­foy­er, Wien

2013:

Para­dies­vö­gel, Pro­jekt­raum Vik­tor Bucher, Wien; Para­dies­vö­gel II,Gale­rie Her­bert Alber, Bre­genz; Sev­daChkou­to­va – Zone 1, Pro­jekt­raum Vik­tor Bucher, Wien

2015:

, Pro­jekt­raum Vik­tor Bucher, Wien; Sev­da Chkou­to­va, Soda Gale­rie, Bratislava
Lebt und arbei­tet in Wien

Prei­se

2006:

Kunst­preis 2006, STRA­BAG Kunst­fo­rum, Wien

2007:

Nomi­nie­rung zum Wal­ter Koschatz­ky Kunst-Preis 2007, mumok, Wien

2009:

Nomi­nie­rung zum Wal­ter Koschatz­ky Kunst-Preis 2009, mumok, Wien

2011:

Nomi­nie­rung zum Wal­ter Koschatz­ky Kunst-Preis 2011, mumok, Wien; Nomi­nie­rung zum Kar­di­nal-König-Kunst­preis 2011, Salzburg

2012:

Nomi­nie­rung zum 1. Inter­na­tio­na­len Faber-Cas­tell-Preis für Zeich­nung, Neu­es Muse­um in Nürnberg

2013:

Nomi­nie­rung zum Frau­en­kunst­preis für Zeich­nung, Nordrhein-Westfalen

Lite­ra­tur

Sev­da Chkou­to­va, Basis Edi­ti­on Nr. 4, Wien 2010.

Cor­ne­lia Gockel, Titel auf Nach­fra­ge. Inter­na­tio­na­ler Faber-Cas­tell-Preis für Zeich­nung 2012“, in: Kunst­fo­rum Inter­na­tio­nal, Bd. 218, Nov./Dez. 2012, S. 342 – 343. 

  1. Becker Ilka, „Gender und Repräsentationskritik“, in: DuMonts Begriffslexikon zur zeitgenössischen Kunst, hg. v. Hubertus Butin, Köln 2002, S. 94–99, hier S. 94f.
  2. Ebd.
  3. Mit dem Begriff Gender-Bashing wird jene Strategie gemeint, die die Geschlechterforschung verharmlost und marginalisiert.
  4. Oona Kroisleitner, Tanja Traxler: „Ich habe das Gefühl, ich bin in einem Dauerkampf. Interview mit der Politikwissenschaftlerin Birgit Sauer und der Nachwuchsforscherin Sushila Mesquita“, in: Unistandard, März 2015, U2.
  5. Sarah Yolanda Koss, David Tiefenthaler, „Feministische Wissenschaft in Bedrängnis“, in: Unistandard, März 2015, U1.

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