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Beisskammer Sophie, A Westernized model , 7.6.2011

Schwar­zer Filz­stift und Bunt­stif­te auf Papier, Erwor­ben mit Mit­teln der Gale­ri­en­för­de­rung 2012

  • Beisskammer Sophie, A Westernized model, 7.6.2011
  • Pater Sato, Zeichnung, ca. 1980

In einer vor ein paar Jah­ren ent­stan­de­nen Gra­fik­se­rie arbei­te­te die Gmund­ner Art-Brut-Künst­le­rin Sophie Beiss­kam­mer nach Mode­zeich­nun­gen. Die Vor­la­gen fand sie in Cal­ly Black­mans Buch 100 Years of Fashion Illus­tra­ti­on.Die Zeich­nung A Wes­ter­ni­zed model aus die­ser Serie wider­spie­gelt eine Aus­ein­an­der­set­zung mit einer Mode­zeich­nung des japa­ni­schen Künst­lers Pater Sato (1945 – 1994) aus dem Jahr 1980.


In Satos Zeich­nung trägt ein west­li­ches Model ein tief aus­ge­schnit­te­nes gel­bes Kos­tüm. Rosa­far­be­ne und rote Rosen schei­nen aus dem Dekol­le­té her­aus­zu­fal­len und ver­lei­hen der Dar­stel­lung einen Touch von Leben­dig­keit und Sinnlichkeit.

Die frü­hen 1980er-Jah­re waren, glo­bal gese­hen, von einem star­ken Wirt­schafts­boom gekenn­zeich­net. Ein Trend der dama­li­gen Mode war – ganz pas­send zur gesell­schaft­lich-wirt­schaft­li­chen Grund­stim­mung der Zeit – das soge­nann­te Power­dres­sing – ein Kos­tüm mit kur­zem Rock und stark gepols­ter­ten Schul­tern. Es erin­nert Cal­ly Black­man an den Gla­mour der Vier­zi­ger­jah­re und kom­bi­nier­te Sex und Busi­ness“1.


Sophie Beiss­kam­mer zeigt in ihrer Zeich­nung nicht nur das Man­ne­quin im gel­ben Kos­tüm. Sie füg­te auch den in dem Buch abge­druck­ten eng­lisch­spra­chi­gen Kom­men­tar der Mode­ex­per­tin Black­man hand­schrift­lich hin­zu.2 Durch die ver­schie­den­far­bi­gen Strei­fen hin­ter den Text­zei­len begin­nen die­se mit der figu­ra­len Dar­stel­lung zu kor­re­lie­ren. Die figür­li­che Kom­po­si­ti­on setzt sich auf Beiss­kam­mers Blatt gegen ein unbe­han­del­tes Weiß, den Papier­grund selbst, ab, ganz im Gegen­satz zu Satos in Braun­nu­an­cen aus­ge­führ­ter Hin­ter­grund­ge­stal­tung. Die Gmund­ner Künst­le­rin ver­zich­tet hin­ge­gen auf jeg­li­che Licht­mo­du­la­ti­on. Auf Kon­tur­li­ni­en und Farb­fel­der redu­ziert, bin­det sich Beiss­kam­mers figu­ra­le Dar­stel­lung daher stark in die Bild­flä­che zurück.

Ein wei­te­rer Unter­schied fällt auf: Da aus Satos ori­gi­na­lem Hoch­for­mat bei Beiss­kam­mer ein Quer­for­mat wur­de, erhält die weib­li­che Figur nun mehr Raum zum Atmen. Die Arme – in der Mode­zeich­nung von den seit­li­chen Bild­rän­dern abge­trennt – wer­den auf Beiss­kam­mers Blatt des­halb komplettiert.


Wäh­rend wir von Pater Satos Zeich­nung ledig­lich das unge­fäh­re Ent­ste­hungs­jahr ken­nen, datiert Beiss­kam­mer ihre Zeich­nung mit dem genau­en Datum 7.6.2011“. Sato ver­zich­tet außer­dem auf eine sicht­ba­re Anbrin­gung der Signa­tur, wäh­rend die Gmund­ner Künst­le­rin mit ihrem Vor­na­men Sophie“ am rech­ten unte­ren Bild­rand ihre Autor­schaft aus­drück­lich bekundet.


Beiss­kam­mers auf­ge­rühr­ter Zei­chen­strich (vor allem an den Unter­ar­men der Frau­en­dar­stel­lung sicht­bar) lässt dar­auf schlie­ßen, dass die Künst­le­rin den Filz­stift mehr­mals absetz­te und inne­hielt. In ihrer Arbeit zeigt sich ein cha­rak­te­ris­tisch-indi­vi­du­el­ler Duk­tus, der sich deut­lich von der nüch­tern-hap­ti­schen Schil­de­rung Pater Satos absetzt.

Die in Schreib­schrift aus­ge­führ­ten Erläu­te­run­gen Black­mans mutie­ren zu einer poly­chrom hin­ter­leg­ten Ara­bes­ke, die dem Model als orna­men­tier­ter Sockel dient. Das Bild und sei­ne Deu­tung wer­den damit in einen ande­ren Kon­text über­führt. Wer den Hin­ter­grund der Ent­ste­hung nicht kennt, sieht in der Arbeit viel­leicht so etwas wie ein Comic: aus der ehe­dem gedruck­ten Erläu­te­rung zur Zeich­nung wur­de ein Teil der Komposition.


Beiss­kam­mers Zeich­nung rekur­riert wie bereits erwähnt auf meh­re­re Inspi­ra­ti­ons­quel­len. Ist ihre Zeich­nung den­noch authen­tisch und ein Ori­gi­nal, obwohl sich die Künst­le­rin ganz offen­sicht­lich und ver­mut­lich mit wenig kri­ti­scher Distanz einer Vor­la­ge bedien­te? Die künst­le­ri­sche Aus­ein­an­der­set­zung mit der Autor­schaft, Authen­ti­zi­tät und Ori­gi­na­li­tät eines Werks ist nach Ste­fan Römer, einem aus­ge­wie­se­nen Spe­zia­lis­ten für zeit­ge­nös­si­sche Kunst, ein Kenn­zei­chen der Appro­pria­ti­on Art.3 Wäh­rend die­se jedoch die stra­te­gi­sche Aneig­nung frem­der Bild­lich­keit vor­aus­setzt, ist der Zugang der Gmund­ner Künst­le­rin zum Ori­gi­nal deut­lich weni­ger kal­ku­liert. In Beiss­kam­mers Zeich­nung fühlt man sich eher geneigt zu fra­gen, wes­halb uns die Frau wohl so trau­rig anblickt.


Die bei­den Zeich­nun­gen wen­den sich an unter­schied­li­che Publi­kums­schich­ten. Satos Zeich­nung ist zweck­ge­bun­den, basie­rend auf dem Vor­ha­ben einer mög­lichst effekt­vol­len Prä­sen­ta­ti­on des Kos­tüms: Der japa­ni­sche Mode­zeich­ner hebt das Klei­dungs­stück wer­be­wirk­sam her­vor. Sei­ne Zeich­nung fällt in die Kate­go­rie der ange­wand­ten Kunst. Beiss­kam­mers Zeich­nung wird hin­ge­gen nicht von kom­mer­zi­el­len Aspek­ten getra­gen. Die Per­sön­lich­keit der Dar­ge­stell­ten rückt stär­ker in den Fokus der Auf­merk­sam­keit als ihr Out­fit. Die sen­si­ble Stu­die lässt den Wunsch nach Schön­heit, die kri­ti­sche Hin­ter­fra­gung der eige­nen Per­son in den Vor­der­grund treten.

Bio­gra­fie

1988:

gebo­ren

seit 2009:

haupt­be­ruf­lich in der Kunst­werk­statt Gmun­den der OÖ. Lebens­hil­fe tätig

2011:

Aus­stel­lung 99+9 Fra­gen an mich in der Mar­tin-Luther-Kir­che Linz gemein­sam mit Mar­ga­re­the Bamberger

Pro­ve­ni­enz

Die Gra­fik war Teil einer Aus­stel­lung in einer ober­ös­ter­rei­chi­schen Gale­rie. Sie wur­de 2012 mit Mit­teln der Gale­ri­en­för­de­rung erworben.

Appro­pria­ti­on Art

Stra­te­gi­sche Aneig­nung (Appro­pria­ti­on) von frem­der Bild­lich­keit […] Ihre Stra­te­gie ist letzt­lich eine kri­ti­sche Refle­xi­on der künst­le­ri­schen Pro­duk­ti­ons- und Rezep­ti­ons­be­din­gun­gen von Kunst. […] Appro­pria­ti­on rela­ti­viert die (männ­li­chen) Mythen der Moder­ne – die Begrif­fe der Autor­schaft, Authen­ti­zi­tät, Ori­gi­na­li­tät und die Hier­ar­chie zwi­schen hoher und popu­lä­rer Kul­tur.“4

Art Brut

Bezeich­nung, die der Maler Jean Dubuf­fet für die spon­ta­nen, unre­flek­tier­ten, aus dem Unbe­wuss­ten sich näh­ren­den künst­le­ri­schen Aus­drucks­for­men von Geis­tes­kran­ken, Kin­dern oder Lai­en­ma­lern fand. Die­se dem pro­fes­sio­nel­len Stil­wil­len des Künst­lers ent­ge­gen­ge­setz­ten, anti-künst­le­ri­schen‘ Aus­drucks­for­men der Art brut, die Dubuf­fet jedoch als schöp­fe­ri­sche, wah­re Kunst aner­kann­te und pro­kla­mier­te, hat er sel­ber als bewuss­te Stil­ele­men­te in sei­ne eige­ne Arbeit über­nom­men. Sie wur­den von vie­len Künst­lern auf­ge­grif­fen.“5

Lite­ra­tur

Cal­ly Black­man, Mode-Zeich­nun­gen,Mün­chen 2009.

DuMonts Begriffs­le­xi­kon zur zeit­ge­nös­si­schen Kunst, hg. v. Huber­tus Butin, Köln 2002.

99 + 9 Fra­gen an mich. Mar­ga­re­the Bam­ber­ger, Sophie Beiss­kam­mer u. Fer­di­nand Rei­sen­bich­ler, hg. v. d. Kul­tur­in­itia­ti­ve Nar­ren­schyff, Leon­ding 2012.

  1. Cally Blackman, Mode-Zeichnungen, München 2009, S. 259.
  2. Auf Deutsch übersetzt lautet er: „Pater Sato, Zeichnung ca. 1980. Privatsammlung. Sato, ein Absolvent des Sensu-Mode-Seminars in Japan, war in den Achtziger- und Neunzigerjahren in seiner Heimat sehr erfolgreich. 1985 koordinierte er Fashion Illustration in New York. Hier trägt ein westliches Model ein auf Figur geschnittenes Kostüm mit einem tiefen Ausschnitt, der mit Rosen gefüllt ist.“
  3. Stefan Römer, „Appropriation Art“, in: DuMonts Begriffslexikon zur zeitgenössischen Kunst, hg. v. Hubertus Butin, Köln 2002, S. 15–18, hier S. 17.
  4. Ebd.
  5. DuMonts Kunstlexikon des 20. Jahrhunderts. Künstler, Stile und Begriffe, hg. v. Karin Thomas, Köln 2000, S. 28f.

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