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Thöny Wilhelm, La Ciotat , 1933–1936

Gou­ache auf Papier

Boo­te schau­keln mun­ter auf dem Was­ser. Licht­re­fle­xe zeich­nen wei­ße Strei­fen und Fle­cken auf das Papier. In der rech­ten unte­ren Bil­de­cke betrach­ten zwei Pas­san­ten die som­mer­li­che Betrieb­sam­keit im Hafen. La Cio­tat ist eine Klein­stadt an der fran­zö­si­schen Rivie­ra öst­lich von Mar­seil­le. In der Fer­ne heben sich die mit Mac­chie bewach­se­nen Hügel der Gran­de Tête ab. Die Sze­ne­rie erweckt den Ein­druck von Leich­tig­keit, Unbe­schwert­heit, Urlaubsstimmung.

Brei­te Pin­sel­stri­che erzeu­gen male­ri­sche Effek­te. Thö­ny ver­wen­det in sei­ner Kom­po­si­ti­on Tusche und decken­de Gou­ache­far­ben. Die Farb­strei­fen bezeich­nen das Was­ser und sei­ne Licht­re­fle­xe. Boo­te und ihre Spie­ge­lun­gen wech­seln sich in Weiß und Rot ab, Land und Was­ser kon­tras­tie­ren sich in Grün und Blau. Die Arbeit erhält durch die­se pas­to­sen Bah­nen viel Kör­per und Substanz.

Die Schiffs­mas­ten und die Take­la­ge deu­tet Thö­ny mit locker gezo­ge­nen Tuschestri­chen an. Die­se ver­ti­ka­len Akzen­te ver­zur­ren sich gemein­sam mit den waa­ge­rech­ten Lini­en bei­der­seits des Hafens zu einer netz­ar­ti­gen Struktur.

Das fei­ne Linea­ment belässt vie­les in einem Sta­di­um von Andeu­tun­gen, was die Leich­tig­keit der Kom­po­si­ti­on unter­streicht. Alles, was sich in natu­ra im räum­li­chen Hin­ter­grund befin­det, wird in einer Art Schicht­prin­zip über­ein­an­der­ge­staf­felt, sodass der Hori­zont im Bild kaum mehr zu sehen ist. Die­ses Prin­zip – mit Vor­läu­fern in japa­ni­schen Holz­schnit­ten – trägt zu einem flä­chi­gen Bild­ein­druck bei. Ins­ge­samt lässt sich die Arbeit La Cio­tat weder als rei­ne Zeich­nung noch als ein­deu­ti­ges Gemäl­de festlegen.


Im Spät­som­mer 1931 zieht Wil­helm Thö­ny mit sei­ner spä­te­ren zwei­ten Ehe­frau Thea von Graz nach Paris. Er lebt bis 1938 in der fran­zö­si­schen Haupt­stadt, ehe er nach New York über­sie­delt. An Freun­de in Graz berich­tet der Künst­ler: Wir bewoh­nen augen­blick­lich ein ent­zü­cken­des Wohn­ate­lier, herr­li­che Aus­sicht (Not­re Dame, Pan­thé­on – Eif­fel­turm bis zum arc de tri­um­phe [sic!]). Thea kocht und zwar glän­zend, alles ist still, die Son­ne glüht auf die zwei Bal­ko­ne. Bad, Warm­was­ser, etc. etc. – ich habe in 17 Tagen 20 gro­ße Zeich­nun­gen zur fran­zös. Revo­lu­ti­on gemacht, fer­ner im gan­zen bis­her etwa 100 ande­re dar­un­ter 21 Pari­ser Stadt­skiz­zen, gut.“1


Die Pari­ser Zeit bringt wie­der mehr Glanz in Thö­nys Leben. In den vor­an­ge­gan­ge­nen Jah­ren waren in sei­ner stei­ri­schen Hei­mat eher düs­te­re Bil­der ent­stan­den. In der Regi­on Île-de-France hin­ge­gen, in der sich auch Paris befin­det, herrscht ein sil­ber­nes Licht, das den Künst­ler neu beflü­gelt. An Alfred Kubin schreibt Thö­ny vol­ler Begeis­te­rung: So bin ich doch froh, im letz­ten Drit­tel des Lebens noch ein­mal in die ozea­ni­schen Licht­gar­ben gekom­men zu sein.“2

Regel­mä­ßig hält er sich wäh­rend sei­ner Pari­ser Jah­re eini­ge Wochen in Süd­frank­reich auf. In Sana­ry-sur-Mer lebt sei­ne Schwä­ge­rin Eva Herr­mann. An der fran­zö­si­schen Rivie­ra trifft er im Exil leben­de befreun­de­te Schrift­stel­ler, Kunst­his­to­ri­ker und Künst­ler wie Juli­us Mei­er-Grae­fe, Hein­rich Mann, Lion Feucht­wan­ger, den Kom­po­nis­ten Paul Hin­de­mith und den Maler Othon Friesz.


Wäh­rend eines sol­chen Auf­ent­halts in süd­li­chen Gefil­den ent­steht auch die vor­lie­gen­de Gou­ache. Der Wie­ner Kunst­his­to­ri­ker Franz Smo­la bemerkt, dass sich Thö­nys Male­rei wäh­rend sei­ner Pari­ser Jah­re immer deut­li­cher vom Natur­vor­bild zu distan­zie­ren begann. Ab Mit­te der 1930er Jah­re führ­te dies zu einer vibrie­ren­den, fast gespinst­haf­ten Ober­flä­che“3. Paul Cézan­ne war dem Gra­zer Künst­ler in die­ser Hin­sicht ein gro­ßes Vor­bild. Der pro­ven­za­li­sche Maler setz­te sich mit der Mon­tagne Sain­te-Vic­toire in der Nähe von Aix-en-Pro­vence beson­ders inten­siv aus­ein­an­der und näher­te sich damit schritt­wei­se der Abs­trak­ti­on an.


Thö­ny sucht bestän­dig Anre­gun­gen für die Wei­ter­ent­wick­lung sei­ner Male­rei. Daher trifft er sich wäh­rend eines Auf­ent­halts im Süden Frank­reichs mit Cézan­nes Schwa­ger Maxim Conil, da Cézan­ne selbst bereits 1906 ver­stor­ben war. In einem Brief an Alfred Kubin klagt der Gra­zer Künst­ler aller­dings schwer ent­täuscht: Erzähl­te ich Ihnen, daß ich in Aix mit dem 83-jäh­ri­gen Schwa­ger Cézan­nes 5 Stun­den spa­zie­ren ging? Und daß er, als ich ihn frag­te, ob er vie­le Bil­der von Paul habe, mir ant­wor­te­te: Ah, ich habe zwar mei­nen Schwa­ger sehr geliebt, aber was sei­ne Male­rei betrifft – – – par­don!‘ Es war ein­fach gro­tesk und dabei irgend­wie erschüt­ternd!“4


Die in Tusche aus­ge­führ­ten Tei­le der Arbeit La Cio­tat wir­ken wie ein Struk­tur­ge­rüst, auf das Farb­strei­fen befes­tigt wur­den. Die Kom­po­si­ti­on erweckt den Ein­druck, als kön­ne sie sich wie ein Git­ter von ihrem Papier­grund abhe­ben. Und mehr als das: Thö­nys Arbeit erprobt die Abs­trak­ti­on. Aus­ge­hend von der gegen­ständ­li­chen Vor­la­ge wird hier die Welt des Sicht­ba­ren schritt­wei­se zurück­ge­las­sen. In La Cio­tat nimmt Wil­helm Thö­ny eine künst­le­ri­sche Hal­tung ein, die die Offen­heit des Schaf­fens­pro­zes­ses unter­streicht. Der Mal­akt und die Eigen­wer­tig­keit der gestal­te­ri­schen Mit­tel ste­hen im Vor­der­grund. Wer­ke von Wols, Otto Her­bert Hajek, Hen­ri Mich­aux und Geor­ges Mathieu zei­gen ähn­li­che Stil­an­sät­ze. Als Künst­ler des Infor­mel bau­en sie unter ande­rem auch auf den hier ver­an­schau­lich­ten Ent­wick­lungs­schritt auf. In den auf die 1930er-Jah­re fol­gen­den Jahr­zehn­ten wer­den sie die Frei­heit expe­ri­men­tel­len Arbei­tens kon­se­quent noch wei­ter vorantreiben.

Pro­ve­ni­enz

Die Gra­fik wur­de im Jahr 1953 in einer Salz­bur­ger Gale­rie gekauft. Sie zählt zum Anfangs­be­stand der Samm­lung des Lentos Kunst­mu­se­um Linz.

Bio­gra­fie

1888:

gebo­ren am 10.2. in Graz als Sohn eines Papiergroßhändlers

Aus­bil­dung an der Gra­zer Lan­des­kunst­schu­le bei Anton Marussig


1907 – 1914:

Stu­di­um an der Münch­ner Aka­de­mie bei Gabri­el Hackl und Ange­lo Jank. Dane­ben Aus­bil­dung als Pia­nist und Sänger


1914 – 1918:

Kriegs­ma­ler im Ers­ten Weltkrieg


1923:

nach einem Auf­ent­halt in der Schweiz und in Mün­chen Rück­kehr nach Graz. Begrün­der und ers­ter Prä­si­dent der Gra­zer Secession


1927:

Mit­ar­beit bei der Münch­ner Zeit­schrift Die Jugend und der Ber­li­ner Zeit­schrift Quer­schnitt


1929:

Pro­fes­so­ren­ti­tel


1931 – 1938:

Paris


1932 – 1935 und 1937:

Thö­ny ver­bringt jedes Jahr eini­ge Wochen in Südfrankreich


1934:

Öster­rei­chi­scher Staats­preis und Ehren­prä­si­dent­schaft der Seces­si­on Graz


1938:

Über­sied­lung nach New York


1948:

Ver­nich­tung von fast tau­send Arbei­ten bei einem Brand in New York


1949:

gestor­ben am 1.5. in New York an einem Gehirnschlag

Lite­ra­tur

Chris­ta Stein­le, Gün­ther Hol­ler-Schus­ter (Hg.), Wil­helm Thö­ny. Im Sog der Moder­ne, Aus­stel­lungs­ka­ta­log, Neue Gale­rie Graz, Bie­le­feld 2013.

  1. Brief an Paula Haimel, 14.2.1932, zitiert nach: Christa Steinle, Günther Holler-Schuster (Hg.), Wilhelm Thöny. Im Sog der Moderne, Ausstellungskatalog, Neue Galerie Graz, Bielefeld 2013, S. 446.
  2. Brief an Alfred Kubin, Paris, 23.1.1935, zitiert nach: Steinle, Holler-Schuster 2013, S. 415.
  3. Franz Smola, „Stil und Entwicklung in Wilhelm Thönys Werk und seine Rezeption in Österreich. Dialogische Vergleiche mit seinen Zeitgenossen vor dem Spiegel der Kunstkritik“, in: Steinle, Holler-Schuster 2013, S. 398–425, hier S. 416.
  4. Brief an Alfred Kubin, Paris, 29.1.1936, zitiert nach: Wilhelm Thöny. Im Sog der Moderne 2013, S. 450.

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