Aquarell auf Papier, 26,5 x 41 cm
Schirmpinien und Agaven führen uns in die Campagna Romana, die hügelige Umgebung Roms zwischen dem Tyrrhenischen Meer und dem Apennin. Die südlichen Pflanzen rahmen das Geschehen und grenzen es gegen die weite Ebene ab, aus der die bewaldeten Hügel der Albaner Berge aufragen. Die Sonne steht bereits sehr tief, sodass ein mächtiger Schlagschatten auf den sandigen Boden vor der Osteria gefallen ist. Letzte Lichtstrahlen dringen durch die Ritzen der Balustrade, auf der sich eine junge Italienerin abstützt. Vor der Osteria spielt sich eine bewegte Szene ab. Zwei berittene Viehhirten treiben ihre Stiere vorüber. Rasch bringt sich eine Frau mit einem Kleinkind im Arm in Sicherheit. Ein dunkel gekleideter Mann tritt, wohl um die Frauen zu schützen, mit bravouröser Geste den Reitern entgegen. Diese wiederum konzentrieren sich ganz auf die Stiere und suchen sie an den Menschen vorbeizumanövrieren.
Die kleinformatige Arbeit (Maße: 26,5 x 41 cm) ist ein Aquarell. Als Schüler des deutschen Malers Carl Werner, der in Venedig ein Meisteratelier für Aquarellmalerei betrieb, vertiefte Anton Romako (1832 – 1889) bereits in den 1850er-Jahren seine Kenntnisse dieser Technik. In Venedig löste sich der junge Künstler auch von der Tradition der Historienmalerei, in der als Gegenstand eines Kunstwerks nur ein großes Thema aus der Geschichte oder Mythologie akzeptiert wurde. Das alltägliche Leben der kleinen Leute lieferte ihm besonders in seiner römischen Zeit ab 1856 unzählige Motive: Viehtreiber der Campagna, wie in unserem Bild, Frauen mit Getreidegarben und Obstkörben, Bauern vor einem Madonnenbild, Schafhirten mit ihren Hunden sowie Szenen aus dem Leben der Briganten. Genrebilder dieser Art bildeten die Grundlage für Romakos Erfolg in Rom. Sie entsprachen der romantisierenden Mode der damaligen Zeit und waren bei den Touristen sehr beliebt. In Rom war Romako als gefeierter Porträtmaler Mittelpunkt der deutsch-österreichischen Künstlerkolonie, zu der u. a. Louis Gurlitt, Julius Zielke, Franz Thelen, Karl Lindemann-Frommel, Max Hauschild und Ernst Willers zählten.
Er residierte im Palazzo Pacca an der Piazza Campitelli und hatte zusätzlich eine Wohnung außerhalb der Stadt in der Via Porta Pinciana.Das Frühwerk Romakos ist von Naturbeobachtung und Naturschilderung des biedermeierlichen Realismus 1 geprägt. Seine in Rom entstandenen Genrebilder werden in der Fachwelt sehr ambivalent beurteilt. Der bedeutende österreichische Kunsthistoriker Fritz Novotny (1903 – 1983) zum Beispiel kritisierte Romakos Figuren als „theaterhaft unecht“, die Szenen „im Erzählerischen laut und aufdringlich“ und die Lichtführung „derb“ 2. Er räumte allerdings ein, Romako sei in der Aquarellmalerei „häufiger zu ungetrübten Gestaltungsergebnissen gekommen“3.
Dies trifft wohl auch für Vor einer Osteria in der Campagna zu. Das Gemälde mit dem gleichen Namen, für das Romako diese Studie anfertigte, ging im Zweiten Weltkrieg verloren; erhalten blieb nur eine Abbildung in einer Zeitschrift aus dem Jahr 1942. Das kleine Aquarell aus dem Lentos ist somit ein wichtiges Indiz für das verschwundene Gemälde. Dieses war, wie die Abbildung zeigt, wesentlich figurenreicher. Statt der Viehtreiber mit ihren Stieren gab es Kutschen, diskutierende Männer und tanzende Frauen. Gemeinsam sind den beiden Werken einzelne Figuren sowie die südliche Vegetation. Im Vergleich zum Gemälde wirkt das Aquarell weniger inszeniert, natürlicher. Romako konzentrierte sich ganz auf die Darstellung der Licht- und Schatteneffekte des Abendlichts. Die Aquarellstudie steht dem Realismus und der Freiluftmalerei wesentlich näher als der damaligen Landschaftsmalerei in Österreich.4 Insbesondere in Florenz formierte sich ab 1855 die Malergruppe der Macchiaioli, die sich für die Darstellung von einfachen arbeitenden Menschen in der freien Natur interessierte.
Mit dem romantischen Unterton einer abendlichen Stimmung in der arkadischen Landschaft der römischen Campagna darf das kleine Aquarell als wegweisend für den in Österreich etwa 10 Jahre später einsetzenden Stimmungsimpressionismus bezeichnet werden.
Freiluftmalerei
Die Freiluftmalerei nahm in der Schule von Barbizon ihren Ausgang. Das Dorf Barbizon liegt am Westrand des Waldes von Fontainebleau. Dort trafen sich Maler wie Théodore Rousseau, Camille Corot, Jean-François Millet und Charles-François Daubigny, um unter freiem Himmel zu malen. Kennzeichnend für die Schule von Barbizon sind kleinformatige Landschaftsbilder, die einen stimmungsvollen Naturausschnitt zeigen.
Macchiaioli
In Italien bildete sich etwa um 1855 eine Malergruppe, die sich vom Akademismus verabschiedete. Zu dieser toskanischen Malergruppe zählten Telemaco Signorini, Giovanni Fattori, Adriano Cecioni, Silvestro Lega und Giuseppe Abbati. Sie malten zwar im Atelier, ihre Bilder erweckten aber den Eindruck von Freilichtmalerei. Die toskanischen Maler wurden als Macchiaioli (Fleckenmaler) verspottet. Ihre Gemälde mit einfachen arbeitenden Menschen und starken Hell-Dunkel-Kontrasten reihen sich in die italienische Malerei des Realismus ein.
Aquarell
Malerei mit Wasserfarben auf saugfähigem Papier. Im Unterschied zur Gouachemalerei wird ohne Deckweiß und vom Hellen ins Dunkle gemalt. Ein weißer Farbton wird somit nur durch Aussparen des Malgrundes erreicht.
Biografie
Anton Romako wurde am 20. Oktober 1832 in Atzgersdorf, südlich von Wien als Kind von Josef Georg Lepper und Elisabeth Maria Anna Romako, der Haushälterin Leppers, geboren. Er wurde an der Wiener Akademie der bildenden Künste geschult und kam dort auch mit dem rebellischen Ferdinand Georg Waldmüller in Kontakt, der ihn für nicht besonders talentiert hielt. In der Revolution von 1848 schloss sich Romako der Akademischen Legion als Tambour an; während der Belagerung von Wien im Oktober war er kurz Mitglied der Mobilgarde. 1849 arbeitete er im Atelier von Wilhelm von Kaulbach in München.
1850 Rückkehr nach Wien, wo er Carl Rahls Privatschule besuchte. Als begabtester seiner Schüler führte er für Rahl eine Reihe von Entwurfszeichnungen für Wandmalereien im Wiener Arsenal aus. Nach einem Zerwürfnis ging Romako 1854 nach Venedig, wo er im Atelier des deutschen Malers Carl Werner arbeitete. 1856 führte ihn eine Reise nach Spanien. 1857 übersiedelte der Künstler nach Rom, wo er die nächsten zwei Jahrzehnte blieb. Zu seinen großen Gönnern und Förderern in der römischen Zeit zählten König Ludwig I. von Bayern und Ferdinand Graf Trauttmannsdorf, der österreichische Gesandte im Vatikan. 1862 Heirat mit Sophie Köbel, der Tochter eines deutschen Architekten und einer Römerin. Franz Liszt war unter den Hochzeitsgästen. 1867 besucht er die Weltausstellung in Paris; 1873 hielt er sich als Gast eines seiner reichen Förderer, Henry Francis Makins, in England auf. 1875 verließ ihn seine Frau und zog nach Konstantinopel. 1876 kehrte Romako nach Wien zurück, wo er allerdings nicht recht Fuß fassen konnte. In Wien herrschte Hans Makart. Romakos Bilder zeigten im Gegensatz zu Makarts neubarocker Sinnenlust eine expressive und stark von seiner Persönlichkeit geprägte Grundhaltung, mit der er das Wiener Publikum überforderte 5.
Anlässlich eines Aufenthalts in Gastein malte er ein Landschaftsmotiv in wechselnden Wetter- und Lichtsituationen. Wie Gerbert Frodl, Wiener Kunsthistoriker und ehemaliger Leiter des Belvedere bemerkt, war Romako damals, künstlerisch gesehen, „auf der Höhe seiner Zeit“6 . Doch die zeitgenössischen Kunstkritiker konnten dies nicht erkennen. Schon gar nicht konnten sie erahnen, welchen großen Einfluss das Werk Anton Romakos auf den österreichischen Expressionismus und auf das Schaffen Oskar Kokoschkas haben würde. 1882 erntete sein Historienbild Tegetthoff in der Seeschlacht bei Lissa, das in der Internationalen Kunstausstellung im Wiener Künstlerhaus präsentiert wurde, vernichtende Rezensionen. Romako lebte in der Folge in Genf, Paris und Rom.
Nach Makarts Tod im Oktober 1884 übersiedelte der Künstler endgültig nach Wien. Die folgenden Jahre waren von Armut und Rastlosigkeit gekennzeichnet. Romako nahm erfolglos an einem Wettbewerb für die Freskoausstattung des Wiener Rathauses teil. Lediglich die Familie Graf Kuefstein versorgte den verarmten Künstler von Zeit zu Zeit mit Aufträgen. 1887 begingen die beiden jüngsten Töchter Romakos, Mathilde und Mary, Selbstmord. Anton Romako selbst starb völlig verarmt am 8. März 1889 in Wien. 1905 fand die erste Kollektivausstellung in Wien statt. Durch sie wurden die ersten Sammler wieder auf Anton Romako aufmerksam, der zu diesem Zeitpunkt schon fast vergessen war.
Provenienz
Das Aquarell wurde 1950 von Wolfgang Gurlitt erworben.
Verwendete Literatur
Gerbert Frodl (Hg.), Der Außenseiter Anton Romako 1832 – 1889. Ein Maler der Wiener Ringstraßenzeit, Ausstellungskatalog, Oberes Belvedere Wien, Wien 1992.
Geschichte der bildenden Kunst in Österreich, Bd. 5: 19. Jahrhundert, hg. v. Gerbert Frodl, München, Berlin, London, New York 2002.
Kunst dem Volk. Monatsschrift für bildende und darstellende Kunst, Architektur und Kunsthandwerk, hg. v. Heinrich Hoffmann, Wien, 13. Jg., Folge 7, Juli 1942.
Cornelia Reiter, Anton Romako. Pionier und Außenseiter der Malerei des 19. Jahrhunderts. Monografie mit Werkverzeichnis, hg. v. Agnes Husslein-Arco, Weitra 2010.
Fritz Novotny, Der Maler Anton Romako. 1832 – 1889, Wien, München 1954.
- Fritz Novotny, Der Maler Anton Romako. 1832–1889, Wien, München 1954, S. 11.
- ebd., S. 20.
- ebd., S. 21.
- ebd., S. 71.
- Vgl. Gerbert Frodl, „Anton Romako“, in: ders. (Hg.), Der Außenseiter Anton Romako 1832–1889. Ein Maler der Wiener Ringstraßenzeit, Ausstellungskatalog, Oberes Belvedere Wien, Wien 1992, S. 16.
- Gerbert Frodl, „Anton Romako (1832–1889). Italienisches Fischerkind“, in: Geschichte der bildenden Kunst in Österreich, Bd. 5: 19. Jahrhundert, hg. v. Gerbert Frodl, München, Berlin, London, New York 2002, S. 363.