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Anton Romako, Vor einer Osteria in der Campagna , um 1860

Aqua­rell auf Papier, 26,5 x 41 cm

Schirm­pi­ni­en und Aga­ven füh­ren uns in die Cam­pa­gna Roma­na, die hüge­li­ge Umge­bung Roms zwi­schen dem Tyr­rhe­ni­schen Meer und dem Apen­nin. Die süd­li­chen Pflan­zen rah­men das Gesche­hen und gren­zen es gegen die wei­te Ebe­ne ab, aus der die bewal­de­ten Hügel der Alba­ner Ber­ge auf­ra­gen. Die Son­ne steht bereits sehr tief, sodass ein mäch­ti­ger Schlag­schat­ten auf den san­di­gen Boden vor der Oste­ria gefal­len ist. Letz­te Licht­strah­len drin­gen durch die Rit­zen der Balus­tra­de, auf der sich eine jun­ge Ita­lie­ne­rin abstützt. Vor der Oste­ria spielt sich eine beweg­te Sze­ne ab. Zwei berit­te­ne Vieh­hir­ten trei­ben ihre Stie­re vor­über. Rasch bringt sich eine Frau mit einem Klein­kind im Arm in Sicher­heit. Ein dun­kel geklei­de­ter Mann tritt, wohl um die Frau­en zu schüt­zen, mit bra­vou­rö­ser Ges­te den Rei­tern ent­ge­gen. Die­se wie­der­um kon­zen­trie­ren sich ganz auf die Stie­re und suchen sie an den Men­schen vorbeizumanövrieren.

Die klein­for­ma­ti­ge Arbeit (Maße: 26,5 x 41 cm) ist ein Aqua­rell. Als Schü­ler des deut­schen Malers Carl Wer­ner, der in Vene­dig ein Meis­ter­ate­lier für Aqua­rell­ma­le­rei betrieb, ver­tief­te Anton Roma­ko (1832 – 1889) bereits in den 1850er-Jah­ren sei­ne Kennt­nis­se die­ser Tech­nik. In Vene­dig lös­te sich der jun­ge Künst­ler auch von der Tra­di­ti­on der His­to­ri­en­ma­le­rei, in der als Gegen­stand eines Kunst­werks nur ein gro­ßes The­ma aus der Geschich­te oder Mytho­lo­gie akzep­tiert wur­de. Das all­täg­li­che Leben der klei­nen Leu­te lie­fer­te ihm beson­ders in sei­ner römi­schen Zeit ab 1856 unzäh­li­ge Moti­ve: Vieh­trei­ber der Cam­pa­gna, wie in unse­rem Bild, Frau­en mit Getrei­de­gar­ben und Obst­kör­ben, Bau­ern vor einem Madon­nen­bild, Schaf­hir­ten mit ihren Hun­den sowie Sze­nen aus dem Leben der Bri­gan­ten. Gen­re­bil­der die­ser Art bil­de­ten die Grund­la­ge für Roma­kos Erfolg in Rom. Sie ent­spra­chen der roman­ti­sie­ren­den Mode der dama­li­gen Zeit und waren bei den Tou­ris­ten sehr beliebt. In Rom war Roma­ko als gefei­er­ter Por­trät­ma­ler Mit­tel­punkt der deutsch-öster­rei­chi­schen Künst­ler­ko­lo­nie, zu der u. a. Lou­is Gur­litt, Juli­us Ziel­ke, Franz The­len, Karl Lin­de­mann-From­mel, Max Hau­s­child und Ernst Wil­lers zählten.


Er resi­dier­te im Palaz­zo Pac­ca an der Piaz­za Cam­pi­tel­li und hat­te zusätz­lich eine Woh­nung außer­halb der Stadt in der Via Por­ta Pinciana.Das Früh­werk Roma­kos ist von Natur­be­ob­ach­tung und Natur­schil­de­rung des bie­der­mei­er­li­chen Rea­lis­mus 1 geprägt. Sei­ne in Rom ent­stan­de­nen Gen­re­bil­der wer­den in der Fach­welt sehr ambi­va­lent beur­teilt. Der bedeu­ten­de öster­rei­chi­sche Kunst­his­to­ri­ker Fritz Novot­ny (1903 – 1983) zum Bei­spiel kri­ti­sier­te Roma­kos Figu­ren als thea­ter­haft unecht“, die Sze­nen im Erzäh­le­ri­schen laut und auf­dring­lich“ und die Licht­füh­rung derb“ 2. Er räum­te aller­dings ein, Roma­ko sei in der Aqua­rell­ma­le­rei häu­fi­ger zu unge­trüb­ten Gestal­tungs­er­geb­nis­sen gekom­men“3.


Dies trifft wohl auch für Vor einer Oste­ria in der Cam­pa­gna zu. Das Gemäl­de mit dem glei­chen Namen, für das Roma­ko die­se Stu­die anfer­tig­te, ging im Zwei­ten Welt­krieg ver­lo­ren; erhal­ten blieb nur eine Abbil­dung in einer Zeit­schrift aus dem Jahr 1942. Das klei­ne Aqua­rell aus dem Lentos ist somit ein wich­ti­ges Indiz für das ver­schwun­de­ne Gemäl­de. Die­ses war, wie die Abbil­dung zeigt, wesent­lich figu­ren­rei­cher. Statt der Vieh­trei­ber mit ihren Stie­ren gab es Kut­schen, dis­ku­tie­ren­de Män­ner und tan­zen­de Frau­en. Gemein­sam sind den bei­den Wer­ken ein­zel­ne Figu­ren sowie die süd­li­che Vege­ta­ti­on. Im Ver­gleich zum Gemäl­de wirkt das Aqua­rell weni­ger insze­niert, natür­li­cher. Roma­ko kon­zen­trier­te sich ganz auf die Dar­stel­lung der Licht- und Schat­ten­ef­fek­te des Abend­lichts. Die Aqua­rell­stu­die steht dem Rea­lis­mus und der Frei­luft­ma­le­rei wesent­lich näher als der dama­li­gen Land­schafts­ma­le­rei in Öster­reich.4 Ins­be­son­de­re in Flo­renz for­mier­te sich ab 1855 die Maler­grup­pe der Mac­chi­aio­li, die sich für die Dar­stel­lung von ein­fa­chen arbei­ten­den Men­schen in der frei­en Natur interessierte.

Mit dem roman­ti­schen Unter­ton einer abend­li­chen Stim­mung in der arka­di­schen Land­schaft der römi­schen Cam­pa­gna darf das klei­ne Aqua­rell als weg­wei­send für den in Öster­reich etwa 10 Jah­re spä­ter ein­set­zen­den Stim­mungs­im­pres­sio­nis­mus bezeich­net werden.


Frei­luft­ma­le­rei


Die Frei­luft­ma­le­rei nahm in der Schu­le von Bar­bi­zon ihren Aus­gang. Das Dorf Bar­bi­zon liegt am West­rand des Wal­des von Fon­taine­bleau. Dort tra­fen sich Maler wie Thé­o­do­re Rous­se­au, Camil­le Corot, Jean-Fran­çois Mil­let und Charles-Fran­çois Dau­bi­gny, um unter frei­em Him­mel zu malen. Kenn­zeich­nend für die Schu­le von Bar­bi­zon sind klein­for­ma­ti­ge Land­schafts­bil­der, die einen stim­mungs­vol­len Natur­aus­schnitt zeigen.

Mac­chi­aio­li

In Ita­li­en bil­de­te sich etwa um 1855 eine Maler­grup­pe, die sich vom Aka­de­mis­mus ver­ab­schie­de­te. Zu die­ser tos­ka­ni­schen Maler­grup­pe zähl­ten Tele­ma­co Signo­ri­ni, Gio­van­ni Fat­to­ri, Adria­no Cecio­ni, Sil­ves­tro Lega und Giu­sep­pe Abba­ti. Sie mal­ten zwar im Ate­lier, ihre Bil­der erweck­ten aber den Ein­druck von Frei­licht­ma­le­rei. Die tos­ka­ni­schen Maler wur­den als Mac­chi­aio­li (Fle­cken­ma­ler) ver­spot­tet. Ihre Gemäl­de mit ein­fa­chen arbei­ten­den Men­schen und star­ken Hell-Dun­kel-Kon­tras­ten rei­hen sich in die ita­lie­ni­sche Male­rei des Rea­lis­mus ein.

Aqua­rell

Male­rei mit Was­ser­far­ben auf saug­fä­hi­gem Papier. Im Unter­schied zur Gou­ache­ma­le­rei wird ohne Deck­weiß und vom Hel­len ins Dunk­le gemalt. Ein wei­ßer Farb­ton wird somit nur durch Aus­spa­ren des Mal­grun­des erreicht.

Bio­gra­fie

Anton Roma­ko wur­de am 20. Okto­ber 1832 in Atz­gers­dorf, süd­lich von Wien als Kind von Josef Georg Lep­per und Eli­sa­beth Maria Anna Roma­ko, der Haus­häl­te­rin Lep­pers, gebo­ren. Er wur­de an der Wie­ner Aka­de­mie der bil­den­den Küns­te geschult und kam dort auch mit dem rebel­li­schen Fer­di­nand Georg Wald­mül­ler in Kon­takt, der ihn für nicht beson­ders talen­tiert hielt. In der Revo­lu­ti­on von 1848 schloss sich Roma­ko der Aka­de­mi­schen Legi­on als Tam­bour an; wäh­rend der Bela­ge­rung von Wien im Okto­ber war er kurz Mit­glied der Mobil­gar­de. 1849 arbei­te­te er im Ate­lier von Wil­helm von Kaul­bach in München.


1850 Rück­kehr nach Wien, wo er Carl Rahls Pri­vat­schu­le besuch­te. Als begab­tes­ter sei­ner Schü­ler führ­te er für Rahl eine Rei­he von Ent­wurfs­zeich­nun­gen für Wand­ma­le­rei­en im Wie­ner Arse­nal aus. Nach einem Zer­würf­nis ging Roma­ko 1854 nach Vene­dig, wo er im Ate­lier des deut­schen Malers Carl Wer­ner arbei­te­te. 1856 führ­te ihn eine Rei­se nach Spa­ni­en. 1857 über­sie­del­te der Künst­ler nach Rom, wo er die nächs­ten zwei Jahr­zehn­te blieb. Zu sei­nen gro­ßen Gön­nern und För­de­rern in der römi­schen Zeit zähl­ten König Lud­wig I. von Bay­ern und Fer­di­nand Graf Trautt­manns­dorf, der öster­rei­chi­sche Gesand­te im Vati­kan. 1862 Hei­rat mit Sophie Köbel, der Toch­ter eines deut­schen Archi­tek­ten und einer Röme­rin. Franz Liszt war unter den Hoch­zeits­gäs­ten. 1867 besucht er die Welt­aus­stel­lung in Paris; 1873 hielt er sich als Gast eines sei­ner rei­chen För­de­rer, Hen­ry Fran­cis Makins, in Eng­land auf. 1875 ver­ließ ihn sei­ne Frau und zog nach Kon­stan­ti­no­pel. 1876 kehr­te Roma­ko nach Wien zurück, wo er aller­dings nicht recht Fuß fas­sen konn­te. In Wien herrsch­te Hans Makart. Roma­kos Bil­der zeig­ten im Gegen­satz zu Makarts neu­ba­ro­cker Sin­nen­lust eine expres­si­ve und stark von sei­ner Per­sön­lich­keit gepräg­te Grund­hal­tung, mit der er das Wie­ner Publi­kum über­for­der­te 5.


Anläss­lich eines Auf­ent­halts in Gas­tein mal­te er ein Land­schafts­mo­tiv in wech­seln­den Wet­ter- und Licht­si­tua­tio­nen. Wie Ger­bert Frodl, Wie­ner Kunst­his­to­ri­ker und ehe­ma­li­ger Lei­ter des Bel­ve­de­re bemerkt, war Roma­ko damals, künst­le­risch gese­hen, auf der Höhe sei­ner Zeit“6 . Doch die zeit­ge­nös­si­schen Kunst­kri­ti­ker konn­ten dies nicht erken­nen. Schon gar nicht konn­ten sie erah­nen, wel­chen gro­ßen Ein­fluss das Werk Anton Roma­kos auf den öster­rei­chi­schen Expres­sio­nis­mus und auf das Schaf­fen Oskar Kokosch­kas haben wür­de. 1882 ern­te­te sein His­to­ri­en­bild Tegett­hoff in der See­schlacht bei Lis­sa, das in der Inter­na­tio­na­len Kunst­aus­stel­lung im Wie­ner Künst­ler­haus prä­sen­tiert wur­de, ver­nich­ten­de Rezen­sio­nen. Roma­ko leb­te in der Fol­ge in Genf, Paris und Rom.


Nach Makarts Tod im Okto­ber 1884 über­sie­del­te der Künst­ler end­gül­tig nach Wien. Die fol­gen­den Jah­re waren von Armut und Rast­lo­sig­keit gekenn­zeich­net. Roma­ko nahm erfolg­los an einem Wett­be­werb für die Fres­ko­aus­stat­tung des Wie­ner Rat­hau­ses teil. Ledig­lich die Fami­lie Graf Kuef­stein ver­sorg­te den ver­arm­ten Künst­ler von Zeit zu Zeit mit Auf­trä­gen. 1887 begin­gen die bei­den jüngs­ten Töch­ter Roma­kos, Mat­hil­de und Mary, Selbst­mord. Anton Roma­ko selbst starb völ­lig ver­armt am 8. März 1889 in Wien. 1905 fand die ers­te Kol­lek­tiv­aus­stel­lung in Wien statt. Durch sie wur­den die ers­ten Samm­ler wie­der auf Anton Roma­ko auf­merk­sam, der zu die­sem Zeit­punkt schon fast ver­ges­sen war.

Pro­ve­ni­enz

Das Aqua­rell wur­de 1950 von Wolf­gang Gur­litt erworben.

Ver­wen­de­te Literatur

Ger­bert Frodl (Hg.), Der Außen­sei­ter Anton Roma­ko 1832 – 1889. Ein Maler der Wie­ner Ring­stra­ßen­zeit, Aus­stel­lungs­ka­ta­log, Obe­res Bel­ve­de­re Wien, Wien 1992.

Geschich­te der bil­den­den Kunst in Öster­reich, Bd. 5: 19. Jahr­hun­dert, hg. v. Ger­bert Frodl, Mün­chen, Ber­lin, Lon­don, New York 2002.

Kunst dem Volk. Monats­schrift für bil­den­de und dar­stel­len­de Kunst, Archi­tek­tur und Kunst­hand­werk, hg. v. Hein­rich Hoff­mann, Wien, 13. Jg., Fol­ge 7, Juli 1942.

Cor­ne­lia Rei­ter, Anton Roma­ko. Pio­nier und Außen­sei­ter der Male­rei des 19. Jahr­hun­derts. Mono­gra­fie mit Werk­ver­zeich­nis, hg. v. Agnes Hus­s­lein-Arco, Wei­tra 2010.

Fritz Novot­ny, Der Maler Anton Roma­ko. 1832 – 1889, Wien, Mün­chen 1954.

  1. Fritz Novotny, Der Maler Anton Romako. 1832–1889, Wien, München 1954, S. 11.
  2. ebd., S. 20.
  3. ebd., S. 21.
  4. ebd., S. 71.
  5. Vgl. Gerbert Frodl, „Anton Romako“, in: ders. (Hg.), Der Außenseiter Anton Romako 1832–1889. Ein Maler der Wiener Ringstraßenzeit, Ausstellungskatalog, Oberes Belvedere Wien, Wien 1992, S. 16.
  6. Gerbert Frodl, „Anton Romako (1832–1889). Italienisches Fischerkind“, in: Geschichte der bildenden Kunst in Österreich, Bd. 5: 19. Jahrhundert, hg. v. Gerbert Frodl, München, Berlin, London, New York 2002, S. 363.

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