Zum Hauptinhalt springen
Eva Bosch, In uns selbst sind die Mythen , 2002

Kalt­na­del­ra­die­rung auf Büttenpapier

Das Land ist flach, weit und ein­tö­nig. Das Farb­spek­trum der auf­ge­wor­fe­nen Acker­schol­len beschränkt sich auf mono­chro­me Abstu­fun­gen. Ein biß­chen Schnee da und dort. Licht­ak­zen­te und tief­schwar­ze Dun­kel­wer­te model­lie­ren das in Fur­chen gezo­ge­ne Erd­reich. Was hin­ter dem Hori­zont liegt, ent­zieht sich unse­rer Kennt­nis. Viel­leicht eine ande­re Land­schaft, die eben­so flach ist? Viel­leicht die Sil­hou­et­te einer Stadt, die ers­ten klei­nen Hügel oder ein Wald­stück? Es ist, als blick­te man aus dem Fens­ter eines Zuges. Vie­le Kilo­me­ter lang nord­deut­sche Tief­ebe­ne. Der Ort Oder­berg, aus dem Eva Bosch stammt, liegt im nord­deut­schen Bun­des­land Bran­den­burg. Mit die­ser Gra­fik erin­nert sich die Künst­le­rin viel­leicht an ihre Heimat.

Die Kalt­na­del­ra­die­rung ist als Quer­for­mat ange­legt. An drei Sei­ten kommt es zu Über­schnei­dun­gen mit dem Bild­rand, was die Aus­schnitt­haf­tig­keit des Sujets betont. Die Acker­schol­len sind Teil eines grö­ße­ren Gan­zen, ein Land­schafts­aus­schnitt wie ein Film­ka­der. Die obe­re Bild­hälf­te ist größ­ten­teils leer, die unte­re wird als dun­kel, schwer und las­tend emp­fun­den – aus die­sen unter­schied­li­chen visu­el­len Gewich­tun­gen bezieht die Kom­po­si­ti­on sehr viel Span­nung. Erd­for­ma­tio­nen und ‑schich­tun­gen brei­ten sich aus, bear­bei­te­tes Erd­reich. Die geform­te Natur, in der der Mensch selbst nicht zu sehen ist. Die künst­le­ri­sche Arbeit ist in einem beschrei­ben­den Modus ange­legt, der abso­lu­te Ereig­nis­lo­sig­keit impli­ziert und in sei­ner Mono­to­nie einen medi­ta­ti­ven Grund­ton anschlägt. Wer die Natur als etwas Beweg­tes wahr­neh­men möch­te, kann in der Gra­fik ledig­lich den Tanz von Licht und Schat­ten auf der wei­ten Flur studieren.


Der Titel der Druck­gra­fik führt eine zusätz­li­che Inter­pre­ta­ti­ons­ebe­ne ein. In uns selbst sind die Mythen: Die Künst­le­rin eröff­net damit einen Raum für wei­ter­füh­ren­de Asso­zia­tio­nen. Woher kom­men wir, wohin gehen wir? Eva Bosch sucht Ant­wor­ten auf die­se exis­ten­zi­el­len Fra­gen in der künst­le­ri­schen Aus­ein­an­der­set­zung mit der Natur. In ihrem künst­le­ri­schen Œuvre wid­me­te sie sich bis­lang in vie­len ver­schie­de­nen Seri­en der Natur­dar­stel­lung. Die­se wird aber nicht als genaue Beob­ach­tung oder mime­ti­sche Stu­die rea­li­siert. Viel­mehr zeich­net Eva Bosch par­al­lel zur Natur, zum Gese­he­nen. Ihre Kalt­na­del­ra­die­run­gen ent­ste­hen nicht vor dem Objekt, son­dern im Ate­lier, aus der Erin­ne­rung heraus.


Die Tech­nik der Kalt­na­del­ra­die­rung ermög­licht der Künst­le­rin vie­le ver­schie­de­ne Aus­drucks­qua­li­tä­ten. Linie und Far­be kön­nen sehr nuan­ciert zuein­an­der in Bezie­hung gesetzt wer­den, wobei die Farb­pa­let­te meist eher redu­ziert ange­wen­det wird. Bei der Kalt­na­del­ra­die­rung wird die Zeich­nung mit einem har­ten Stift ohne Ätz­vor­gang direkt in die Druck­plat­te geritzt. Es wer­den dadurch Gra­te auf­ge­wor­fen, die sich in der fer­ti­gen Gra­fik als sanf­te Schat­ten des Zei­chen­strichs aus­ma­chen las­sen. Der schar­flinea­re Cha­rak­ter, der Druck­tech­ni­ken häu­fig eigen ist, wird durch die Kalt­na­del mit male­ri­schen Wer­ten unterwandert.


Der Begriff der See­len­land­schaft1 beschreibt sehr gut, was Eva Bosch mit In uns selbst sind die Mythen aus­drü­cken möch­te: Gefüh­le, Emo­tio­nen und Stim­mun­gen sind in die Dar­stel­lung der Land­schaft hin­ein­ge­legt. Emil Nol­de und Edvard Munch, bei­de aus dem Nor­den Euro­pas stam­mend, brach­ten sehr viel Aus­druck in ihre Land­schafts­dar­stel­lun­gen. Ihre künst­le­ri­schen Arbei­ten haben daher einen evo­ka­ti­ven Cha­rak­ter. Umge­münzt auf Boschs Zeich­nung lie­ße sich inter­pre­tie­ren: Die gleich­för­mi­gen Zei­chen­stri­che kön­nen wie die rhyth­mi­schen Hebun­gen und Sen­kun­gen eines Gedich­tes wir­ken. Der in der Land­schafts­dar­stel­lung sicht­ba­re Rhyth­mus lässt uns in Erin­ne­run­gen eintauchen.


Der Titel der vor­lie­gen­den künst­le­ri­schen Arbeit lässt außer­dem an jene The­se den­ken, wonach in uns ein uraltes Wis­sen gespei­chert sei, das sich im Kon­takt mit der Natur offen­ba­ren kann. In einem Brief schreibt Eva Bosch: Ein­mal hat­te ich, ich war etwa 9 Jah­re alt, das Erleb­nis eines Nord­lich­tes am Abend (ohne die natur­wis­sen­schaft­li­chen Zusam­men­hän­ge zu ken­nen). Dies schien mir ein Zei­chen der geheim­nis­vol­len Kräf­te, die über­all in der Natur zur Mythen­bil­dung bei­tra­gen. Wer beob­ach­tet der nimmt – WAHR.“2


Das Team des Lentos wünscht Ihnen inspi­rie­ren­de und erleb­nis­rei­che Spa­zier­gän­ge in der Win­ter­land­schaft des ers­ten Monats im neu­en Jahr. Alles Gute für 2017!

Pro­ve­ni­enz

Die Gra­fik kam als Schen­kung der Künst­le­rin im Jahr 2004 in den Bestand des Lentos Kunst­mu­se­um Linz.

Bio­gra­fie

geb. 1941 in Oder­berg, Bran­den­burg
lebt in Linz

1964 – 1965:

Besuch der Werk­kunst­schu­le Offen­bach am Main

1968 – 1969:

Stu­di­um der Akt­zeich­nung bei Horst Strem­pel in Ber­lin, einem Schü­ler des expres­sio­nis­ti­schen Künst­lers Otto Müller

1977 – 1982:

Stu­di­um der Male­rei und Gra­fik mit Diplom­ab­schluss an der Hoch­schu­le für Gestal­tung Linz

1985 – 2007:

1. Vize­prä­si­den­tin des OÖ. Kunst­ver­eins, Linz

1990:

Gestal­tung des Linz Buches des Jah­res 1990

1991:

Preis­trä­ge­rin der Inter­na­tio­na­len Sene­fel­der-Stif­tung Offen­bach am Main

2001:

Ver­lei­hung des Professorentitels

2003:

Preis des Kiwa­nis Druckgrafik-Wettbewerbs

2005:

Betei­li­gung an der Gestal­tung des Buches Stif­tER – ein Por­trait, hg. v. OÖ. Kunstverein

2009:

Artist in Resi­dence der OÖ Wirt­schafts­kam­mer. Künst­le­ri­sche Gestal­tung von Glas­ob­jek­ten für das All­ge­mei­ne Kran­ken­haus Linz und die Dia­ko­nie-Alten­hei­me in Gall­neu­kir­chen und Wels. Gestal­tung des Andachts­raums im Mar­tins­stift, Gallneukirchen.

Aus­stel­lun­gen ab 2000:

2001:

Aus­stel­lung in der Schloss­ga­le­rie Mondsee


2002:

flo­gen die for­men im Dia­ko­nie­zen­trum, Salzburg

2006:

blue-blue in der Gale­rie 44er Haus, Leon­ding, und im Bil­dungs­haus St. Mag­da­le­na, Linz

2007:

Orte der Erin­ne­rung in der Mar­tin-Luther-Kir­che, Linz

2008:

im frei­en spiel im OÖ. Kunst­ver­ein, Linz

2010:

Bosch & Bosch in der Gale­rie Thie­le, Linz

2011:

Aus­stel­lung im Pas­sau­er Kunst­ver­ein, St. Anna Kapelle

2012:

im frei­en spiel im Kletz­mayr­hof, St. Marien

2013:

erin­nern im Schloss Zell an der Pram

2014:

Aus­stel­lung in der Gale­rie Welz, Salzburg

2015:

Aus­stel­lung in der Gale­rie der Stadt Traun

2016:

blü­ten-bil­der im Bil­dungs­haus St. Mag­da­le­na, Linz

Lite­ra­tur

OÖ. Kunst­ver­ein Linz (Hg.), Eva Bosch. 1984 – 1986, Kata­log­buch mit einem Text von Peter Baum, Linz 1986.

Eva Bosch, Kata­log­buch mit Tex­ten von Peter Baum und Peter Ass­mann, Linz 1993.

Eva Bosch. Ana­log die Blät­ter … Radie­run­gen, Mit Bei­tex­ten von Wal­traud Seidl­ho­fer und einem Kata­log­text von Peter Ass­mann (Schrif­ten­rei­he des OÖ. Kunst­ver­eins 1851), Linz 1998.

  1. Peter Assmann in: Eva Bosch. Analog die Blätter …. Radierungen, Linz 1998, o. S.
  2. Zitat aus einem Brief von Eva Bosch an die Autorin, Linz 19.12.2016.

Newsletter

Lentos Kunstmuseum Linz
Ernst-Koref-Promenade 1, 4020 Linz

T +43 (0) 732 7070 3600
E info@lentos.at

Öffnungszeiten

Wochentag Öffnungszeiten
DiSo 10 – 18 Uhr
Do 10 – 20 Uhr
Mo geschlos­sen
Premium Corporate Partner
Corporate Partner
Ausgezeichnet mit dem Österreichischen Umweltzeichen für Museen
Museen der Stadt Linz

Diese Website verwendet Cookies um das Nutzererlebnis zu verbessern. Mehr dazu