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Ingrid Kowarik, Ohne Titel , 1984

Gra­fit und Farb­stif­te auf wei­ßem Karton

Die groß­for­ma­ti­ge Bunt­stift­zeich­nung ist in 40 Fel­der auf­ge­teilt. Es ergibt sich dadurch ein Ras­ter, das es zulässt, die Arbeit in die Nähe von Comic- oder Film­strips zu rücken. Dem­nach liegt der Zeich­nung eine erzäh­le­ri­sche Hal­tung zugrunde.


Die ers­ten zwei Fel­der, begin­nend in der lin­ken obe­ren Ecke, sind leer. Im drit­ten Qua­drat voll­füh­ren rote und blaue Klei­der­fi­gu­ren gym­nas­ti­sche Übun­gen: Die roten bewe­gen sich an gel­ben Stan­gen, die blau­en schrei­ten fron­tal auf uns zu. Im nächs­ten Feld prä­sen­tie­ren sich die roten Klei­der­fi­gu­ren hin­ter schwar­zen Han­gings“. Sodann voll­brin­gen die hel­len und dunk­len Tor­si akro­ba­ti­sche Übun­gen an Lei­tern. Ein Män­ner­kopf taucht auf. Er sieht aus wie ein Hun­ne. Die grü­ne Far­be sei­nes Kopf­haars fin­det sich auch an zahl­rei­chen ande­ren Stel­len in der Zeich­nung wie­der – wech­sel­sei­ti­ge Bezü­ge quer durch das Bild wer­den so sichtbar.

Die Köp­fe, durch­wegs von Män­nern, sind meist trans­pa­rent, aus­ge­höhlt und dem Natu­rell nach ori­en­ta­li­scher Her­kunft. Nach Anga­be der Künst­le­rin könn­ten Grie­chen oder Tür­ken dar­ge­stellt sein. Sie tra­gen Schnauz­bär­te, Kinn­bär­te, Haar­strei­fen“ oder klas­sisch dar­ge­stell­tes Haupthaar.

Zusam­men­ge­fasst lässt sich fest­stel­len: Die ein­zel­nen Bil­der zei­gen klein­tei­li­ge Tor­si oder groß gese­he­ne Köp­fe, die sich in vari­an­ten­rei­cher, aber mehr oder weni­ger bezie­hungs­lo­ser Anord­nung anein­an­der­rei­hen. Die Tor­si voll­füh­ren unter­schied­li­che Bewe­gungs­ab­läu­fe und stel­len Situa­tio­nen dar.


Wel­che Geschich­te möch­te uns Ingrid Kowa­rik erzäh­len? Ihre Tor­si bewe­gen sich for­mal gese­hen zwi­schen Orna­ment und Reprä­sen­ta­ti­on. Durch die Anein­an­der­rei­hung gleich­ar­ti­ger Moti­ve ent­ste­hen flä­chi­ge Mus­ter, die sich erst bei nähe­rer Betrach­tung als Reprä­sen­ta­tio­nen mensch­li­cher Prot­ago­nis­ten zu erken­nen geben. Die Tor­si mar­schie­ren, sie erklim­men Lei­tern oder fal­len von die­sen her­un­ter. Sie tan­zen mit­ein­an­der, ste­hen ein­an­der gegen­über oder wir­beln ein­fach durchs Bild. Sie kön­nen wie Spiel­fi­gu­ren belie­big vari­iert wer­den und gera­ten damit zu Mario­net­ten der Künst­le­rin im Bezie­hungs­ge­flecht zwi­schen Män­nern und Frauen.


Es zei­gen sich weder Frau­en­köp­fe noch Frau­en­mas­ken, dafür aber Tor­si von Frau­en – den Dar­stel­lun­gen fehlt dadurch die Iden­ti­tät. Die Frau­en lavie­ren durchs Bild und sind eher Geis­ter­we­sen denn indi­vi­du­el­le Persönlichkeiten.
Und die aus­ge­höhl­ten, wie Mas­ken wir­ken­den Män­ner­köp­fe? Hin­ter einer Mas­ke kann man sei­ne wah­re Iden­ti­tät gut ver­ber­gen. Mas­ken kön­nen schüt­zen, aber auch die wah­ren Absich­ten ver­schlei­ern. Die Mas­ke ist alles und nichts, in ihrer prin­zi­pi­el­len Künst­lich­keit für den Aus­druck des Lebens wie für den Aus­druck des Todes bereit“,1 schreibt Ruth Händ­ler in einem Bei­trag über Kiki Kogelnik.

Ein Kamel und eine Pyra­mi­de las­sen an den Ori­ent den­ken. Bei­de Sujets sind dezent in die Kom­po­si­ti­on ein­ge­floch­ten. Die Pyra­mi­de ist ein Sym­bol des Todes und der Wie­der­ge­burt. In einer der klein­tei­li­gen Zeich­nun­gen am rech­ten Bild­rand schei­nen die roten und die schwar­zen Figu­ren mit­ein­an­der zu tan­zen oder gegen­ein­an­der zu kämp­fen. Ein gel­ber Kreis bin­det sie anein­an­der. Alles ist also eine Fra­ge der Per­spek­ti­ve: Die einen sehen sich schein­bar durchs Leben tan­zen, die ande­ren erle­ben das­sel­be Gesche­hen als Kampf ums Überleben.

Kowa­riks Zeich­nun­gen sind sti­lis­tisch von der Pop-Art und kom­po­si­tio­nell von der Film­pro­duk­ti­on geprägt. Ihre als Tor­si“ bezeich­ne­ten Figu­ra­tio­nen erin­nern an Kiki Kogel­niks Cut-outs“ oder Han­gings“. Kogel­nik ent­wi­ckel­te die­se Typen bereits 1962, inspi­riert von den Kör­per­ab­drü­cken, den soge­nann­ten Blue­prints“, von Robert Rau­schen­berg und Yves Klein. Ingrid Kowa­rik stellt die­se Kör­per­hül­sen aller­dings plas­ti­scher dar, wie Klei­dungs­stü­cke, die stell­ver­tre­tend für ihre Besit­ze­rIn­nen zu Akteu­rIn­nen werden.


Im Ver­gleich zu Pop-Art-Zeich­nun­gen ver­wen­det Kowa­rik kein kräf­ti­ges Kolo­rit, son­dern Pas­tell­tö­ne. Die künst­le­ri­sche Arbeit strahlt auch im Zei­chen­strich eine ganz beson­de­re Sub­ti­li­tät aus. Sie ist akri­bisch umge­setzt und vol­ler mehr oder weni­ger dechif­frier­ba­rer Andeu­tun­gen. Kowa­rik ent­wi­ckel­te für ihr künst­le­ri­sches Werk ein eige­nes For­men­vo­ka­bu­lar und setzt dar­in Bild­kür­zel wie Hie­ro­gly­phen ein. Wie sur­rea­lis­ti­sche Film­se­quen­zen zie­hen Ingrid Kowa­riks Bild­ge­schich­ten an uns vor­bei, in Rei­hung, oft­mals ohne sofort ersicht­li­chen Zusam­men­hang und den­noch hin­ter­grün­dig und ver­ständ­lich.“2Der Zeich­nung liegt eine Refle­xi­on und Befra­gung des männ­lich-weib­li­chen Rol­len­ver­hal­tens zugrun­de. Ingrid Kowa­rik berich­tet – mit­tels Tor­si als Platz­hal­ter und Stell­ver­tre­ter – über­aus ele­gant und detail­reich von den in unse­rer Gesell­schaft übli­chen Stra­te­gien in mensch­li­chen Bezie­hun­gen, von Tech­ni­ken des Sich­durch­set­zens und des Sich­be­haup­tens, vom Reüs­sie­ren und vom Schei­tern, von der selbst­be­stimm­ten Aneig­nung und dem Gesche­hen­las­sen im Kampf der Geschlechter.

Bio­gra­fie

geb. 1952 in Wels
lebt in Linz


1969 – 1973:

Besuch der Kunst­schu­le der Stadt Linz, Meis­ter­klas­se für Male­rei bei Prof. Her­bert Dimmel

Aus­stel­lun­gen (Aus­wahl):

1985/86:

Kunst­hal­le Nürn­berg; Neue Gale­rie Linz

1988:

Gale­rie Art­club, Linz; gal­lery onet­wen­ty­eight, New York; Gale­rie Lea Gredt, Luxemburg

1989:

Gale­rie Libro, Linz

1991:

O.K., Linz; Teil­nah­me am 23e fes­ti­val inter­na­tio­nal de la pein­ture, Cagnes-sur-Mer

1992:

Öster­rei­chi­sches Kul­tur­zen­trum, Paris

1995:

Neue Gale­rie der Stadt Linz; Künst­ler­sym­po­si­um Sigh­ar­ting; Lan­des­ga­le­rie im Lan­des­mu­se­um Linz

1996:

Gale­rie Pim­mingstor­fer, Peuerbach

1996:

Cover­ge­stal­tung für Kur­siv – lug und Trug (1), Kunst­zeit­schrift, Linz, 2005 – Kur­siv. Jahr­buch 2005. Zur Ver­dau­ung (1), S.52 – 59, Linz 05

1997:

Kunst­fo­rum Hal­lein; Schloss Zell an der Pram

1998:

Gale­rie Para­dig­ma, Linz; Öster­rei­chi­sche Bot­schaft, Tokyo; Gale­rie Maerz, Linz

1999:

Gale­rie Pim­mingstor­fer, Peu­er­bach; Gale­rie Kunst und Form, Arnbruck/​Zellertal; Neue Gale­rie der Stadt Linz; Kunst­ver­ein Steyr – Schloss Lam­berg; Gale­rie auf Abruf, Wien; Lan­des­ga­le­rie im OÖ. Landesmuseum

2000:

Gale­rie 422, Gmun­den; Neue Gale­rie der Stadt Linz

2001:

Gale­rie Muse­um auf Abruf, Wien; Gale­rie Pim­mingstor­fer, Peu­er­bach; Gale­rie Ars’99, Peu­er­bach; Cas­tel­lo di Udine

2002:

Rus­si­sches Kul­tur­in­sti­tut, Wien

2004:

Aus­stel­lungs­be­tei­li­gung Pau­las Home, Lentos Kunst­mu­se­um Linz

2005:

Gale­rie Pim­mingstor­fer, Peu­er­bach – Gale­rie Thie­le Linz

2007:

Echo-Echo und Col­la­bo­ra­ti­ons mit Diet­mar Brehm Kunst­raum Gale­rie Schloss Mondsee

2009:

Kunst Flow, Linz AG Kunst Flow, Kunst­mu­se­um Arte­mons, Hellmonsödt
Aus­stel­lungs­be­tei­li­gung For­mu­liert – Kon­ver­gen­zen zwi­schen Schrift und Bild, Lentos Kunst­mu­se­um Linz, Gale­rie Maerz Linz, Stif­ter­haus Linz

2012:

Echo Echo und Col­la­bo­ra­ti­ons mit Diet­mar Brehm, Gale­rie in der Schmie­de, Pasching

2015:

Aus­stel­lungs­be­tei­li­gung 25 Jah­re Para­dig­ma, Kunst­ver­ein Fa. Paradigma

2016:

Aus­stel­lungs­be­tei­li­gung Der Brand mei­nes Hau­ses ist Unheil und Flam­me zugleich, Künst­ler­ver­ei­ni­gung MAERZ
Aus­stel­lung in der Gale­rie in der Schmie­de, Pasching

Pro­ve­ni­enz

Die Gra­fik wur­de im Novem­ber 1984 direkt aus dem Besitz der Künst­le­rin erworben.

Lite­ra­tur

ingrid kowa­rik pas­tell­zeich­nun­gen 1987 – 1998, Gale­rie Libro, Linz 1989.

ingrid kowa­rik – galan­ter alma­nach, Gale­rie Kunst­ver­ein Fa. Para­dig­ma, Linz 1992.

Ingrid Kowa­rik, hg. von Gale­rie Fa. Para­dig­ma und Ingrid Kowa­rik. Linz 1998.

Ingrid Kowa­rik / Diet­mar Brehm. Echo. Col­la­bo­ra­ti­ons. Aus­stel­lungs­ka­ta­log des Kunst­raums Gale­rie Schloss Mond­see. Edi­ti­on Kunst­raum Mond­see 2007. 

  1. Ruth Händler, „Superwoman und Seelenwäsche“, in: Gerbert Frodl (Hg.), Kiki Kogelnik. 1935–1997. Retrospektive, Ausst.-Kat., Österreichische Galerie Belvedere, Wien 1998, S. 11–17, hier S. 14.
  2. Elisabeth Nowak-Thaller, „Zeichen der Verwandlung“, in: Ingrid Kowarik. Pastellzeichnungen 1987–1989, Linz 1989, o. S.

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